7. Juli 2020

StVO-Novelle auf Eis: Kommt nun ein Erpressungsversuch aus Berlin?

Aktualisiert um 12:45 Uhr
Hofweg, "Schutzstreifen" und vier Wildparkende - © Stefan Warda

Halten auf Schutzstreifen wieder erlaubt?

Wegen eines Formfehlers wird die seit April gültige StVO-Novelle von den Bundesländern außer Kraft gesetzt. Dazu hatte Andreas Scheuer aufgerufen, weil die StVO-Novelle schlampig auf den Weg gebracht worden war. Für einige Neuerungen fehlte der Bezug zu den entsprechenden Gesetzesgrundlagen. Das bedeutet: Die Ordnungskräfte wenden vorläufig den alten Bußgeldkatalog wieder an. Halten auf Schutzstreifen wird nicht mehr geahndet, es gibt keinen Tatbestand für das enge Überholen von Radfahrenden, es gelten wieder die für europäische Verhältnisse äußerst günstigen Bußgeldchen beim Wildparken auf Geh- und Radwegen oder Radfahstreifen, kein Schritttempo für Lkw beim Abbiegen an Kreuzungen mit Radverkehrsanlagen, usw.. 

Andreas Scheuer möchte nun die Gelegenheit nutzen, den Bundesländern eine neue, veränderte StVO-Novelle unterzujubeln, die hoffentlich juristisch einwandfrei sein wird, gleichzeitig jedoch nach seinen Worten "verhältnismäßig" ausfallen wird. Er möchte der Raserlobby entgegenkommen und temporäre Fahrverbote ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 km/h innerorts und 26 km/h außerorts aufheben. Denn nach Argumenten der Raserlobby haben viele Menschen ihre Existenz derart eingerichtet, dass sie beruflich davon abhängig seien, regelmäßig die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmenden zu gefährden, indem sie zu schnell mit Auto oder Motorrad unterwegs sind. Vorgebracht wurde, diese Gewohnheitsraser könnten ja versehentlich Tempo-30-Schilder übersehen und dann bei deutlich mehr als Tempo 50 in einem Tempo-30-Bereich ihre Fahrerlaubnis befristet abgeben. Verkehrsminister Scheuer missachtet nun alle Bemühungen um Vision Zero und menschengerechterer Städte in Deutschland.




Nun wird es spannend: Wer sitzt am längeren Hebel? Werden die Länder die Kröte schlucken und Geschwindigkeitsüberschreitungen in einer von Scheuer überarbeiteten StVO in bagatellisierter Form akzeptieren, um das restliche Reformwerk schnellstmöglich wieder in Kraft zu setzen? Oder fallen wir möglicherweise gar bis zu einem Verkehrsministerwechsel zurück auf die alte StVO-Fassung?


Lärmzeug - © Stefan Warda

Scheuer auch Anhänger von Lärmzeugen

Nebenbei ließ Scheuer andeuten, dass er die Initiative der Länder zur Minderung von Motorradlärm nicht unterstützen will. Laut der ZEIT sagte Scheuer:

"Die Biker zeigen bei den Protesten ihre Haltung gegen Verschärfungen und Verbote. Das ist auch meine Haltung. Ich werde die Beschlüsse des Bundesrates, also der Bundesländer, nicht umsetzen."


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1 Kommentar:

  1. Für die Radfahrer ist der Unterschied nur marginal, auch wenn sich das BMVI für diese Reform maximal feiert. Ob ich nun mit ausreichendem Abstand (lt. vieler Urteile mindestens 1,50 Meter) oder mit mindestens 1,50 Meter Abstand überholt werde, ist mir doch egal, sofern der Überholer sich an die alte oder die neue Regel auch hält.

    Das Problem haben natürlich die Länder und Kommunen, die die neuen Regeln jetzt nicht vernünftig durchsetzen können, weil praktisch jeder Versuch zu einem Gerichtsverfahren führen würde, obwohl der Verstoß nicht bestritten wird. Denn da ist durch die Höhe der Bußgelder und durch unterschiedlichen Nebenfolgen ein Unterschied spürbar.

    Aber dadurch sollte der Bundesrat sich nicht erpressen lassen. Sowieso erklärt in Deutschland NIEMALS ein Ministerium eine Verordnung für nichtig, sondern immer ein Gericht. Und das passiert so schnell nicht. Die Reform von 2009 soll ja auch nichtig gewesen sein. Da hat in der "Schwebezeit" von April 2010 (Ramsauer-Pressekonferenz zur „Nichtigkeit“) bis zur Korrektur im Jahr 2013 kein Gericht in die tragenden Gründe eines Urteils geschrieben, weil Ramsauers damalige Behauptung Bullshit war.

    Zudem kann der Bundesrat diesmal gleich Tempo 130 auf Autobahnen und Tempo 30 als Regelhöchstgeschwindigkeit innerorts verlangen. Dann kann der Scheuer seine Reform im Aktenschrank verschimmeln lassen, wenn er die Luft sehr lange anhalten kann, oder unterschreiben. Er sollte m.E. besser unterschreiben, um voran zu kommen. Im Verkehrsrecht muss zwingend immer irgendetwas neu geregelt werden. Da können die Länder ihn schlicht verhungern lassen, indem sie jede seiner Novellen mit entsprechenden Forderungen garnieren.

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