Aktualisiert um 19:43 Uhr
Radfahrer benötigen für ihre Rechte in Deutschland einen sehr, sehr langen Atem. So erging es auch dem Radler, der sich im Hamburger Bezirk Altona für einen benutzbaren benutzungspflichtigen Radweg einsetzte. In nahezu allen deutschen Städten stehen Radler vor dem gleichen Dilemma: "Radweg" benutzen, neben dem Autos stehen und daher wegen des Doorings auf dem "Radweg" kein zwingend notwendiger Sicherheitsabstand eingehalten werden kann, trotz Radwegbenutzungspflicht für diesen quasi nicht existenten "Radweg" die Fahrbahn benutzen, oder stattdessen andere Verkehrsmittel nutzen (als Fußgänger, ÖV-Nutzer, oder MIV).
Dr. Frank Bokelmann, der früher auf seinem Weg zur Arbeit die Behringstraße mit dem Rad befuhr, war es leid sich täglich über den halb zugeparkten "Radweg" zu ärgern. 2003 beteiligte er sich an der Kampagne "Radweg oder Parkplatz" des örtlichen Radfahrer-Clubs. Zunächst verteilte er Hinweiszettel an den Scheibenwischern der Autos, die auf Radweg bzw. Gehweg der Behringstraße parkten, obwohl das Parken am Fahrbahnrand erlaubt war. Mit den Zetteln wurden die Autofahrer freundlich auf ihr Fehlverhalten hingewiesen und gebeten ihr Verhalten zu ändern.
Nach einigen Wochen wurde die Aktion umgestellt. Weil die Kampfparker trotz der freundlichen Aufforderung möglichst legal am Fahrbahnrand zu parken nicht folgten, wurden die Übeltäter angezeigt. Die an der Aktion beteiligten Radler erzeugten damals viel Aufregung in Hamburg. Die Kampfparker waren erbost und fühlten sich irgendwie im Recht. Nur welches Recht? Gewohnheitsrecht? Der damalige verkehrspolitische Sprecher der CDU, Bernd Reinert im Abendblatt: "Diese Masse von Anzeigen war unsachlich." Dabei waren die aufgenommen Kampfparker nur die Spitze des Eisbergs. Bei der Aktion der Radler handelte sich lediglich um solche Kampfparker - regelwidrig abgestellte Autos, die statt auf oder direkt am Radweg direkt daneben auf der Fahrbahn oder in einer legalen Parkbucht hätten parken dürfen, ohne dadurch den Radverkehr zu beeinträchtigen. Die Anzeigenaktion richtete sich also nicht einmal um Kampfparker auf Radwegen, die unmittelbar daneben keinen legalen Stellplatz wählen konnten. Ekkehard Rumpf, FDP-Verkehrsexperte, sah es als völlig angemessen an, wenn Autos direkt neben einem Radweg abgestellt würden, weil ansonsten "der Verkehr behindert" würde. Für Rumpf zählte Radverkehr also nicht zum Verkehr. Und obwohl das Parken auf der Fahrbahn erlaubt war hatte Rumpf volles Verständnis für Kampfparker. ADAC-Sprecher Matthias Schmitting: "Behringstraße und Luruper Chaussee sind stark befahren. Der Verkehrsfluss würde behindert, wenn Autos in zweiter Reihe am Rand parken. Rad- und Fußweg müssten verbreitert und gemeinsam genutzt werden." Auch wenn der ADAC für sich reklamiert ein Mobilitätsclub zu sein - für den ADAC-Mann gab es nur Autoverkehrsfluss, keinen Radverkehrsfluss oder in diesem Fall auch Fußgängerverkehrsfluss.
Auch einige Anwohner in Altona hatten wenig Verständnis für das Anliegen der Radfahrer. Willi Heydasch: "Ich bin gegen Radfahrer, die fahren wie die Bekloppten." Vladimir Gigev: "Das ist doch Schikane! Was wollen die denn? Wie breit ist denn ein Fahrrad heute? In keinem anderen Land gibt es so viele Radwege wie in Deutschland." Ingrid Krügel: "Fahrt doch auf der Straße!" Gute Idee, aber es kam ganz anders.
Die nachträgliche Erlaubnis des vormals illegalen Gehwegparkens begründete Polizeisprecher Ralf Kunz 2004 in der taz: "Wir haben dort Bedarf festgestellt. Fakt ist, dass aus Sicht der Polizei das Parken dort rechtmäßig ist und aus diesem Grund dort legalisiert wurde." Kann das Kampfparken tatsächlich rechtmäßig gewesen sein? Dr. Frank Bokelmann versuchte es mit einem Klageverfahren gegen die Radwegbenutzungspflicht in der Behringstraße. Doch er war mit seinem Anwalt schlecht beraten und scheiterte vor dem Verwaltungsgericht wegen Formalitäten. Mit einem erneuten Widerspruchsverfahren gegen das kleine eckige Verkehrszeichen 315, welches das Parken am Radweg erlaubte, hatte er mehr Glück. 2013 verklagte Dr. Frank Bokelmann die Polizeibehörde. 2014, nach zehn Jahren Rechtsstreitigkeiten, kam er vor dem Verwaltungsgericht mit der Verkehrsrechtsabteilung des Polizeipräsidiums überein, den Rechtsstreit beizulegen, wenn die Verkehrszeichen 315 in der Behringstraße zwischen Haus-Nr. 60 und 110 entfernt würden. Die Radwegbenutzungspflicht sollte bis heute bestehen bleiben.
Recht für Radfahrer: Behörde verhindert Kampfparken am Radweg in der Behringstraße
Nach Aufhebung der Erlaubnis zum Gehwegparkens im Februar 2014 veränderte sich das Verhalten der Autofahrer nicht. Trotz Knöllchen-Aktionen der Polizei wurde weiterhin am oder auf dem Radweg geparkt. Erst weitere 22 Monate mussten vergehen, bis nun endlich mit baulichen Mitteln dafür gesorgt wird, dass das Befahren des Radwegs sicher und gefahrlos möglich ist - ohne Beeinträchtigungen durch Kampfparker. Ende Dezember 2015 wurde Holzpoller und Bügel ins Erdreich gesetzt, wo sonst Stehzeuge illegal abgestellt waren. Ein Erfolg für Dr. Frank Bokelmann, aber ein bitteres Armutszeugnis für die Stadt Hamburg, die gerne "Fahrradstadt" werden würde. Denn für das Recht auf einen benutzbaren benutzungspflichtigen Radweg einer einzelnen Straße musste in der "Fahrradstadt" Hamburg ein zwölf Jahre langer Kampf geführt werden. Das zeigt deutlich: Hamburgs Straßen gehören in erster Linie immer noch den Autofahrern. In vielen weiteren Straßen Hamburgs wird Radfahrern weiterhin gegen zahlreiche Richtlinien und Gesetze das Recht auf benutzbare benutzungspflichtige Radwege verwehrt.Hamburg verweigert Radfahrern das Recht auf benutzbare benutzungspflichtige Radwege
In der Habichtstraße stehen zwar viele große blaue Verkehrszeichen mit weißen Fahrradpiktogrammen, entsprechende benutzbare Radwege dazu sind Fehlanzeige. Radler werden so von den Behörden in die Illegalität abgedrängt auf Gehwege, denn die wenigsten Radler trauen sich regelkonform gemäß der Straßenverkehrs-Ordnung bei unbenutzbaren oder nicht existenten Radwegen die Fahrbahn zu benutzen. Das Musterbeispiel des Dr. Frank Bokelmann um die Benutzbarkeit der Radwege in der Behringstraße müsste jetzt eigentlich Schule machen. Nach dem Rechtsstreit dürfte eine "Fahrradstadt", wie Hamburg sich derzeit nennt, an keiner Stelle Radfahrer auf nicht existente oder unbenutzbare Radwege zwingen.Fahrradstadt oder Fakeradwegehauptstadt?
Doch noch ist es nicht so weit. An einen Beispiel zeigt die Fakeradwegehauptstadt auf, in welche Richtung es für Radfahrer gehen könnte. In der Langenhorner Chaussee wurde nicht dem fließenden Verkehr - zu dem auch der Radverkehr zählt - Vorrang eingeräumt, wie es das Hamburgische Wegegesetz (§16 (1) HWG) formuliert, sondern dem Autoverkehr samt dem ruhenden Verkehr. Fußgänger und Radfahrer haben seit letztem Jahr in der Langenhorner Chaussee das Nachsehen, seitdem die Fakeradwege, die durch die illegale Anordnung des Gehwegparkens entwertet worden waren, aufgehoben wurden und das Radfahren auf den Gehwegen nun vorgeschrieben wurde. Das Radfahren auf den nun glatten und ebenen Gehwegen bietet Radlern nur eine neue Scheinsicherheit, denn sie müssen immer mit Fußgängern von rechts aus den aneinandergereihten Grundstückseingängen rechnen, und von links aus den Stehzeugen.Handelskammer: Radverkehr in Hamburg nur noch in Nebenstraßen
Nach Vorstellungen und Forderungen des Präses der Hamburger Handelskammer soll der Radverkehr in Hamburg auch weiterhin nur eine untergeordnete Rolle spielen - Radfahren vielleicht in der Freizeit, am besten weitab von Straßen in Grünanlagen. Für Fritz Horst Melsheimer behindert der Radverkehr den Wirtschaftsverkehr, obwohl der Radverkehr Teil des Wirtschaftsverkehr ist. Melsheimer verkennt Lieferdienste mit Lastenrädern, die selbst Weltkonzerne in Hamburg betreiben. Und Radfahrer sollen möglichst nur in Nebenstraßen radeln, weil Radfahren entlang von Hauptverkehrsstraßen lebensgefährlich sei. Werden nun alle Geschäfte, Arbeitsplätze, Schulen, Wohnungen in Hamburgs Nebenstraßen verlagert, damit Radfahrer sicher ans Ziel kommen? Oder soll das Radfahren zu Geschäften, Arbeitsplätzen, Schulen und Wohungen verboten werden? Hamburg vollständig nach dem Leitbild der autogerechten Stadt umzubauen ist nicht mehr zeitgemäß.Doch so einfach, wie sich der Autolobbyist der Handelskammer den Stadtumbau vorstellt, geht es nicht, solange es mutige Radfahrer gibt.
Mehr . . . / More . . . :
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Ich würde gerne einen Kommentar dazu abgeben, bin aber ziemlich sprachlos. Was für eine Story.
AntwortenLöschenNatürlich darf die Gratulation an den aufrechten Mann und seine Geduld bzw. Zähigkeit nicht fehlen.
Gleichwohl eine Frage: Das gilt Euch als benutzbarer Radweg? Ich meine, gut, man kann da jetzt lang fahren. Es ist zwar kein schöner Belag, aber halbwegs zumutbar. Und wenn gerade keine Leute mit Hunden, Kinder oder mehr als zwei - aufmerksame - Fußgänger sich erdreisten, gleichzeitig den Fußweg zu nutzen, dann mag dies sogar in einem gemäßigten Tempo halbwegs sicher sein.
Aber selbst das, wofür hier so lange gekämpft wurde, ist doch wohl kein erstrebenswerter Zustand. Ich erkenne auf den "Nachher"-Fotos immer noch in erster Linie einen Verkehrsraum, in dem Autos zu Lasten sämtlicher anderer Verkehrsteilnehmern ein absurd hoher Anteil am öffentlichen Raum reserviert wird. Und in dem Fahrradfahrer und Fußgänger mit ihren komplett verschiedenen Ansprüchen auf engstem Raum zusammen gepfercht werden. Und Konflikte zwischen diesen vorprogrammiert bleiben und offensichtlich in Kauf genommen werden.
Ich möchte da, ehrlich gesagt, weiterhin weder mit dem Rad noch zu Fuß mit meinem Sohn lang.
Das gilt für die Straßenverkehrsbehörde bzw. die Behörde für Inneres und Sport derzeit noch als benutzungspflichtiger Radweg. Hamburg ist nicht Kopenhagen . . . und noch immer keine "Fahrradstadt".
LöschenIch bin der Kläger und natürlich nicht restlos zufrieden. Aber die Situation ist nun doch viel besser als vorher. Man konnte nie erkennen, wo noch Insassen im geparkten Kfz sitzen. Da kann man Unfälle auch mit Schrittgeschwindigkeit nie ausschließen. So etwas geht garnicht!
AntwortenLöschenDie andere Straße, die ich in dieser Sache (Radweg neben/unter Parkplätzen) vor den Kadi zog (Langenhorner Chaussee) hat nun anstelle eines Radweges in der "Dooring-Zone" einen gemeinsamen Geh- und Radweg ebendort. Tolle Fahrradstadt! Ganz großes Kino! Die Grünen haben dort überhaupt nichts erreicht. Denn der neue gemeinsame Geh- und Radweg wurde wieder unter Verstoß gegen die ERA 2010 und die PLAST 9 (Stand 2000) geplant und gebaut.
Richtig und gem. § 16 Abs. 1 Satz 3 HWG einzig zulässig ist die Entscheidung in der Behringstraße: "Parkplätze wegbauen". Dazu bedürfte es der Grünen eigentlich überhaupt nicht, weil ja schon im Gesetz steht. Die Grünen kommen aber jetzt bei so Fragen wie Oberflächenbeschaffenheit, Linienführung, Winterdienst usw. ins Spiel. Mal sehen, wie's weitergeht. Nächste Mitteiung der Zwischenergebnisse wohl nicht vor 2019.
Gruß
Frank
"Aber die Situation ist nun doch viel besser als vorher."
LöschenWie gesagt: Das steht außer Frage. Und auch die verdienstvolle Arbeit und Geduld soll keineswegs ins lächerliche gezogen werden. Es ist nur bitter, wie viel Arbeit, Geduld und sicher auch - trotz Erfolg - Geld aufgewendet werden müssen, um solche nun wirklich absolute Mindeststandards zu erreichen. An einer kleinen Stelle zu erreichen.
Das ist natürlich trotzdem tausendmal besser als nicht mal diese Mindeststandards zu haben, keine Frage.
Glücklicherweise gibt es parallel mit der Behringstraße eine Alternative für mich. Auch heute noch ist der Zustand vor Ort eine absolute Frechheit. Allerdings sollte man nicht so tun als würde sich in Altona gar nichts verbessern. Ich bin für die geplanten Projekte ganz zuversichtlich. Für die Behringstraße braucht es aber einer mutigen Umgestaltung von Lessingtunnel bis Reventlowstraße.
AntwortenLöschenMichael S.
Leider schaffen es einige Autofahrer auch nach dem Umbau, sich zwischen den Absperrungen durchzuquetschen und auf dem Radweg zu Parken. Schade dass genau die, die halb auf dem Radweg parken allen anderen den Parkdruck in der Gegend durch ihre Uneinsichtigkeit erhöht haben.
AntwortenLöschenMichael Z.
Recht hat er, der Präses der Hamburger Handelskammer!
AntwortenLöschenEs ist wie mit der Hamburger Handelskammer selber, die auch weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen sollte, da sie die Wirtschaft massiv behindert und gängelt. Lediglich als Freizeitbeschäftigung für abgehalfterte Pseudounternehmer, am besten fernab der Realität in speziellen Schutzreservaten, hat die Hamburger Handelskammer noch eine Daseinsberechtigung.
Wenn das endlich erreicht ist, kann es in Hamburg auch eine gute Verkehrspolitik geben - ich warte...
LG von Hannes Heiner