2011 durfte sich die Hansestadt Hamburg "Umwelthauptstadt" nennen. Andere Städte tragen offiziell die Auszeichnung "fahrradfreundliche Stadt", auch wenn Radfahren auf holprigen zu schmalen Fakeradwegen im Dooringbereich, mitten durch Fußgängerpulks, haarscharf vorbei an Biergärten oder im Slalom um Masten, Pfosten, Säulen und Baumstämme zum Alltag gehören und immer noch mit Radwegbenutzungspflichten als StVO-geprüfte Premiumradwege ausgezeichnet sind. Wer schon einmal in Kopenhagen, Amsterdam, Utrecht oder Nijmegen geradelt ist, mag sich darüber wundern. Heute berichtet die WAZ über die Nominierung der Ruhrgebietsmetropole Essen für den Titel als "Europäische Umwelthauptstadt". Essen konkurriert um den Titel "Umwelthauptstadt" für das Jahr 2017 mit den Mitbewerbern Umea, ´s-Hertogenbosch und Nijmegen.
Rüttenscheider Straße - Urban Carving auf ausgewiesener Essener Radroute
Bei der Bewerbung gehe es laut Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß nicht allein um den Ist-Zustand, "sondern auch darum, was man wie ändern und weiter entwickeln kann". Den Radverkehrsanteil von derzeit lediglich 4,9 Prozent möchten die Essener im Rahmen der Bewerbung bis 2035 auf 25 Prozent erhöhen, den MIV-Anteil von 54 Prozent auf 25 Prozent senken, die Anteile für den ÖV und Fußverkehr sollen ebenso auf 25 Prozent gesteigert werden. Wird mit der Auszeichnung bescheinigt, welche Möglichkeiten eine Stadt hätte und welche Visionen die Marketingabteilung einer Stadt sich ausdenken darf? Wie steht es um die Chancen den Radverkehrsanteil zu versechsfachen und den MIV-Anteil zu halbieren? Wie gut ist beispielsweise Essens Zentrum mit dem Rad zu erreichen?
Tatsächlich bekommt Essen Anschluß an den geplanten "Radschnellweg Ruhr", der vorwiegend auf ehemaligen Bahntrassen die Städte Duisburg,
Mülheim, Essen, Bochum, Dortmund und Hamm verbinden soll. Teilstücke auf
Essener Stadtgebiet sind im Bau bzw. schon fertiggestellt. Vielleicht
wird der "Radschnellweg Ruhr" nach Fertigstellung einen ähnlichen Schub
für den Radverkehr bewirken wie die "Nordbahntrasse" für Wuppertal.
Der Regionalverband Ruhr (RVR) wandelte zahlreiche
ehemalige Privatbahntrassen für die Essener Schwerindustrie zu
gemeinsamen Geh- und Radwegen unterschiedlicher Qualität um. Radverkehr
in Essen ist derzeit vorwiegend eine Freizeitangelegenheit, z.B. am
Wochenende entlang der Ruhr oder auf den Bahntrassenradwegen. Der
Alltagsverkehr zum Einkaufen in den Stadtteilen oder auf dem Weg zur
Arbeit ist überwiegend an die Infrastruktur des Straßennetzes
angewiesen. Da sieht es meist eher schlecht aus.
Hamburg bewarb sich 2008 u.a. mit mit dem Vorhandensein eines 1700 Kilometer langen "Radwegenetzes", bestehend aus 1500 Kilometern straßenbegleitenden "Radwegen", 20 Kilometern Radfahrstreifen und Schutzstreifen, sowie 180 Kilometern Radwegen abseits des Straßennetzes durch Parks und Grünanlagen.
Hamburg’s network of cycle lanes has a total length of 1,700 km. With a population of 1.7 million, this represents one metre per person. The cycle lane network runs parallel to roads for motor vehicles and has been in existence for over 30 years. The cycle lane network, which consists of tracks running parallel to roads for motor vehicles as well as of independently routed cycle paths, has been in existence for over 30 years.
Lanes along streets and roads physically separated from streets/roads: 1,500 km
Lanes along streets and roads only separated by a painted line or the like: 20 km
Routes or pathways exclusively dedicated to bicycles and not running along streets or roads (e.g. through parks): 180 km
Dass die überwiegende Zahl dieser Radwege gar nicht oder nur extrem eingeschränkt benutzbar war hatte die Stadt allerdings bei der Bewerbung verschwiegen. Vermutlich hatte sich auch keine Kommission die Mühe gemacht, die Angaben der Stadt zum angeblichen "Radwegenetz" auf Plausibilität zu überprüfen. Der Vollständigkeit halber muss auch noch erwähnt werden, dass bis 2008/2011 noch zahlreiche schmale Gehwege mit Benutzungspflicht für Radler existierten, auf denen Radler und Fußgänger kaum aneinander vorbei kamen - eingezwängt auf teilweise weniger als 1,5 Metern Breite zwischen Stehzeugen und Grundstückseinfriedungen. Mittlerweile wurde die Gehwegbenutzungspflicht von einigen dieser Gehwege in ein Benutzungsrecht bei Schritttempo umgewandelt.
Angesichts der jetzt anstehenden Diskussion um die Einführung einer Gehwegbenutzungspflicht von zehn Kilometern überwiegend unbenutzbarer Fakeradwege entlang der Langenhorner Chaussee stossen Radler die Zahlen zur "Umwelthauptstadtbewerbung" von 2010 sicherlich sauer auf.
Local roads considered as part of a „cycling network“,but with no separations:
In Hamburg, it is basically possible to cycle on almost any road. On main roads with heavy motor vehicle traffic, there are physically separated bicycle lanes, in areas with a 30 km/h speed limit, you can safely cycle on the main lane. Hamburg’s total road network is 3,900 km long, including 45% of 30 km/h speed limit zones with a total length of 1,755 km.
Von den Absichtserklärungen, die den Radverkehr betrafen, wurde bis heute nicht die Werbekampagne für den Radverkehr gestartet, noch wird dieses Jahr ein 280 Kilometer langes Veloroutennetz vollendet sein.
As an additional long-term measure, a publicity campaign for more bicycle use will be initiated.
A network of basic cycle routes (280 km) to be completed by 2015 and equipped with a special signpost system for cyclists. Redesigning the existing cycle lane network will continue to be an important task.
Laut dem Entwurf des Koalitionsvertrags des zukünftigen Senats soll das Veloroutennetz erst 2020 fertiggestellt sein. Allerdings waren angeblich fertiggestellte Abschnitte des Veloroutennetzes nur eingeschränkt oder gar nicht benutzbar (Veloroute 12, Bei den St. Pauli Landungsbrücken; Veloroute 2, Querung über Doormannsweg), oder diese Velorouten genügten nicht den Ansprüchen an Veloroutenstandards (Veloroute 1, Feldstraße, Neuer Kamp, Neuer Pferdemarkt; Veloroute 2, Weidenstieg, Tornquiststraße; Velorouten 3/4, Jungfernstieg, Neuer Jungfernstieg; Veloroute 4, Alsterufer; Veloroute 12, Herrlichkeit, Schaarmarkt). Auch bei weiteren Angaben aus dem Bewerbungstext blieb es lediglich bei Absichtserklärungen. Das vierzig Kilometer lange Stadtbahnnetz exisiert nicht und wird vorerst nicht kommen, auch sind Umweltzone und Citymaut indiskutabel.
Inauguration in 2012 of the new low-floor light rail system with a 40 km network to connect those city districts, which have previously been poorly connected to public transport.
Examination on whether to introduce a city toll
Examination on whether to establish a low emission zone, with particular consideration of commercial traffic
Mit den Angaben zum Radverkehrsnetz hatte es die Stadt Hamburg für den
"Umwelthauptstdt"-Titel nicht so genau genommen, und hatte damit am Ende
sogar gewonnen.
Dem Image einer "Umwelthauptstadt" konträr war auch die Absicht des SPD-Senats gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen Nichteinhaltung der Schadstoffgrenzwerte in der Luft in Berufung zu gehen. Mit dem neuen Koalitionspartner soll nun das Berufungsverfahren fallen gelassen werden.
... Die Rüttenscheider Straße ist gruselig, aber Tempo 30 und ertrinkt im Stau. Die Stadt Essen hat weiterhin die meisten der Benutzungspflichen mittlerweile abgeschafft und gegen "Radfahrer frei" ersetzt, was nicht großaritig, aber ggf. nicht unpraktisch ist. Und der Radschnellweg ist nicht die einzige Trasse in der Stadt, die mittlerweile vorhanden ist, schaut man auf die karte sind über ein halbes Dutzent alte Bahntrassen die teilweise durchaus komfortabel zu beradeln sind. Dort findet mittlerweile auch gefühlt ein Verdränungsprozss bei Fußgängern statt, die nicht mehr komfortabel spazierengehen können.
Im Kern hat aber Essen das gleiche Problem wie viele andere Städte auch, wasch mich aber mach mich nicht nass. Radverkehr zu fördern ohne den Autoverkehr zu beschneiden muss schief gehen.
Der radweg an der Hyssenalle wird übrigens extrem selten zugeparkt, da sind andere Stellen deutlich heftiger betroffen.
Dann habe ich wohl bislang immer das "Glück" gehabt, den Radfahrstreifen an der Huyssenallee durch Kampfparker beeinträchtigt vorzufinden. Mal sehen, wie es dort bei meinem nächsten Besuch in der Möchtegernumwelthauptstadt aussehen wird. Immerhin hat Essen ja auch dazugelernt. Der "Kulturpfadradweg" über die Brücke über die Bismarckstraße zum Folkwangmuseum ist nun nur noch Gehweg. Ich habe diese Strecke noch als ausgewiesenen "Radweg" erlebt. Und ja, ich habe nichts dagegen, wenn Radler nicht auf Fakeradwege gezwungen werden. Aber ist das Fahrbahnradeln auf breiten Rennpisten (Schützenbahn, Stoppenberg Straße, Bismarckstraße, Freiheit, Alfredstraße, usw.) eine Alternative, die Autofahrer zum Umsteigen auf das Rad einlädt und so die Verkehrsmittelwahl zugunsten des Radverkehrs beeinflusst?
Im Artikel klingt es so, als müssten für nicht benutzungspflichtige Radwege nicht die gleichen - fast nie eingehaltenen - Standards der benutzungspflichtigen Radweg eingehalten werden. Die Mindesmaße etc. haben nichts mit der Benutzungspflicht zu tun, der Anordnung sich alleine nach Gefahren richten darf.
Das Bild mit dem "Ist das ein Radweg, oder kann das weg" gefällt mir.
In der StVO oder VwV-StVO sind keine Mindestmaße für Radwege ohne Benutzungspflicht aufgeführt. Über den Klageweg lassen sich unsinnige Verkehrszeichen (VZ237, 241, 240) entfernen, falls Infrastruktur und Verkehrszeichen nicht zueinander passen. Eine Gefahrenlage spielt allerdings keine Rolle, wenn der Radweg nicht gewissen Standards entspricht. Unsinnige nicht benutzbare Radwege, die nicht benutzt werden müssen, werden in vielen Fällen aber aufgelassen. Für diese gibt es aber keine Standards. Jede Kommune macht, was sie will. Es bleibt allein Radlern (und Fußgängern) überlassen, ob sie aus Oberflächenstrukturen einen "Radweg" erkennen. Selbst wenn diese schmaler als Fahrradlenker sind, werden sie in vielen Fällen nicht zurückgebaut. Es gibt kein Kriterium, welches Straßenbaulastträgern dazu zwingt, unbenutzbare nicht benutzungspflichtige Radwege zu entfernen - aus Sicherheitsgründen. Und Radler fahren weiterhin - meist daneben auf dem Gehweg, weil da ja irgendwo ein "Radweg" ist. Vollkommen regelwidrig.
Dietmar Kettler hat mal in einem Artikel beschrieben, wie man zu schmale Pseudoradwege auf Bürgersteigen wegbekommt. Das geht dann über die Regelwerke für den Fussgängerverkehr. EFA und so, ich kenne mich da nicht besonders aus. Auch Fussgängerwege müssen Mindestbreiten einhalten, da ist dann unterhalb bestimmter Maße kein gemischter Fuss/Rad-verkehr möglich, auch nicht in Schrittgeschwindigkeit.
Heyho,
AntwortenLöschennetter Artikel, aber...
... Die Rüttenscheider Straße ist gruselig, aber Tempo 30 und ertrinkt im Stau. Die Stadt Essen hat weiterhin die meisten der Benutzungspflichen mittlerweile abgeschafft und gegen "Radfahrer frei" ersetzt, was nicht großaritig, aber ggf. nicht unpraktisch ist. Und der Radschnellweg ist nicht die einzige Trasse in der Stadt, die mittlerweile vorhanden ist, schaut man auf die karte sind über ein halbes Dutzent alte Bahntrassen die teilweise durchaus komfortabel zu beradeln sind. Dort findet mittlerweile auch gefühlt ein Verdränungsprozss bei Fußgängern statt, die nicht mehr komfortabel spazierengehen können.
Im Kern hat aber Essen das gleiche Problem wie viele andere Städte auch, wasch mich aber mach mich nicht nass. Radverkehr zu fördern ohne den Autoverkehr zu beschneiden muss schief gehen.
Der radweg an der Hyssenalle wird übrigens extrem selten zugeparkt, da sind andere Stellen deutlich heftiger betroffen.
Gruß aus Essen...
Dann habe ich wohl bislang immer das "Glück" gehabt, den Radfahrstreifen an der Huyssenallee durch Kampfparker beeinträchtigt vorzufinden. Mal sehen, wie es dort bei meinem nächsten Besuch in der Möchtegernumwelthauptstadt aussehen wird. Immerhin hat Essen ja auch dazugelernt. Der "Kulturpfadradweg" über die Brücke über die Bismarckstraße zum Folkwangmuseum ist nun nur noch Gehweg. Ich habe diese Strecke noch als ausgewiesenen "Radweg" erlebt.
LöschenUnd ja, ich habe nichts dagegen, wenn Radler nicht auf Fakeradwege gezwungen werden. Aber ist das Fahrbahnradeln auf breiten Rennpisten (Schützenbahn, Stoppenberg Straße, Bismarckstraße, Freiheit, Alfredstraße, usw.) eine Alternative, die Autofahrer zum Umsteigen auf das Rad einlädt und so die Verkehrsmittelwahl zugunsten des Radverkehrs beeinflusst?
Im Artikel klingt es so, als müssten für nicht benutzungspflichtige Radwege nicht die gleichen - fast nie eingehaltenen - Standards der benutzungspflichtigen Radweg eingehalten werden. Die Mindesmaße etc. haben nichts mit der Benutzungspflicht zu tun, der Anordnung sich alleine nach Gefahren richten darf.
LöschenDas Bild mit dem "Ist das ein Radweg, oder kann das weg" gefällt mir.
In der StVO oder VwV-StVO sind keine Mindestmaße für Radwege ohne Benutzungspflicht aufgeführt. Über den Klageweg lassen sich unsinnige Verkehrszeichen (VZ237, 241, 240) entfernen, falls Infrastruktur und Verkehrszeichen nicht zueinander passen. Eine Gefahrenlage spielt allerdings keine Rolle, wenn der Radweg nicht gewissen Standards entspricht. Unsinnige nicht benutzbare Radwege, die nicht benutzt werden müssen, werden in vielen Fällen aber aufgelassen. Für diese gibt es aber keine Standards. Jede Kommune macht, was sie will. Es bleibt allein Radlern (und Fußgängern) überlassen, ob sie aus Oberflächenstrukturen einen "Radweg" erkennen. Selbst wenn diese schmaler als Fahrradlenker sind, werden sie in vielen Fällen nicht zurückgebaut. Es gibt kein Kriterium, welches Straßenbaulastträgern dazu zwingt, unbenutzbare nicht benutzungspflichtige Radwege zu entfernen - aus Sicherheitsgründen. Und Radler fahren weiterhin - meist daneben auf dem Gehweg, weil da ja irgendwo ein "Radweg" ist. Vollkommen regelwidrig.
LöschenDietmar Kettler hat mal in einem Artikel beschrieben, wie man zu schmale Pseudoradwege auf Bürgersteigen wegbekommt. Das geht dann über die Regelwerke für den Fussgängerverkehr. EFA und so, ich kenne mich da nicht besonders aus. Auch Fussgängerwege müssen Mindestbreiten einhalten, da ist dann unterhalb bestimmter Maße kein gemischter Fuss/Rad-verkehr möglich, auch nicht in Schrittgeschwindigkeit.
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