23. Februar 2020

BMVI und StVO-Novelle: Bei Radfahrstreifen hat es keinen Überholabstand


Aktualisiert um 23:13 Uhr
"Schutzstreifen": Hier gilt der Seitenabstand von mind. 1,5 Metern beim Überholvorgang, der in diesem Fall leider nicht eingehalten wird - © Stefan Warda


Viel heiße Luft um Überholabstand

Mit der neuen StVO-Novelle soll Radfahren angenehmer werden. Nach Enak Ferlemann, dem parlamentarischem Staatssekretär beim BMVI, sollte die Sicherheit der Radfahrenden höher gewichtet werden als die des Autoverkehrsfluss.

"Unser Ziel sollte es sein, dass sich Fahrradfahrer nicht länger als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse fühlen, was sie heute noch vielfach so tun. Deshalb ändern wir die Vorschriften der StVO so, dass sie fahrradgerechter werden."

Das unangenehme Engüberholtwerden soll nunmehr überwunden werden.

"Fahrradfahrer sind kein Störfaktor im Straßenverkehr und schon gar keine Fremdkörper. Sie erwarten zu recht gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer zu sein."
"Radfahrer, Fußgänger, alle brauchen Platz und ein gutes und sicheres Gefühl. Unsere Städte sollen Orte sein, wo man sich gern aufhält. Die StVO-Novelle ist deshalb mehr als eine Ansammlung von neuen Verkehrsregeln. Sie ist vielmehr gerade auch in Beitrag für eine höhere Lebensqualität für jeden."

Das BMVI verspricht den Überholabstand, den Seitenabstand beim Überholen von Radfahrenden, dann, wenn Radfahrende und Autofahrende auf gleicher Fahrspur unterwegs sind: Auf der Fahrbahn oder wenn Radfahrende auf sog. Schutzstreifen (Gefährdungsstreifen), die als teil der Fahrbahn gelten, unterwegs sind.


"Schutzstreifen": Hier gilt der Seitenabstand von mind. 1,5 Metern beim Überholvorgang, der in diesem Fall leider nicht eingehalten wurde - © Stefan Warda

"Schutzstreifen": Hier gilt der Seitenabstand von mind. 1,5 Metern beim Überholvorgang. Der Bus darf die Radfahrende in dieser Straße nicht überholen - © Stefan Warda

"Schutzstreifen": Hier gilt der Seitenabstand von mind. 1,5 Metern beim Überholvorgang, der in diesem Fall leider nicht eingehalten wird - © Stefan Warda

Fahrbahn: Hier gilt der Seitenabstand von mind. 1,5 Metern beim Überholvorgang, der in diesem Fall leider nicht eingehalten wurde - © Stefan Warda

Fahrbahn: Hier gilt der Seitenabstand von mind. 1,5 Metern beim Überholvorgang, der in diesem Fall von einem Kampffahrer eindeutig nicht eingehalten wird - © Stefan Warda



Bei Radfahrstreifen kein Überholen

Sind Radfahrende jedoch auf Radfahrstreifen unterwegs, werden sie vom Autoverkehr auf der angrenzenden Fahrbahn nicht überholt. Radfahrstreifen gelten als Sonderwege und seien somit nicht Teil der Fahrbahn, so die Antwort des BMVI auf die Anfrage des Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar an die Bundesregierung. Es handele sich also um Vorbeifahren. Nach einem Rechtsgutachten für die Unfallforschung der Versicherer (GDV) könne für das Vorbeifahren bei formal abgetrennten Fahrbahnteilen keine geringen Sicherheitsansprüche gelten als beim Überholen.

"Daher gilt auch ein Vorbeifahren an einem sich auf dem Radfahrstreifen befindendem Radfahrer de facto als ein Überholvorgang, bei dem im Ergebnis der notwendige Seitenabstand von mindestens 150 cm einzuhalten ist."

Für viele dieser schmalen "Radfahrstreifen" gilt somit durch den Seitenabstand beim Vorbeifahren / Überholen faktisch ein Vorbeifahrverbot auf teilweise langen Streckenabschnitten, wenn Autos nicht auf eine Überholspur oder in den Gegenverkehr auchweichen können.


"Radfahrstreifen" in Essen: Radfahren sollen hier im Dooringbereich radeln und sich dort gleichzeitig in Kurvenbereich überholen lassen (Vorbeifahren!) - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" in Saabrücken: Kfz dürfen jedoch nicht ohne ausreichenden Abstand an Radfahrenden "vorbeifahren" - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" in Flensburg: Kfz dürfen nicht ohne ausreichenden Abstand an Radfahrenden "vorbeifahren" - © Stefan Warda


Mut zum Radfahren in der "Fahrradstadt" Hamburg erforderlch

Auch in der "Fahrradstadt" Hamburg hat es zahlreiche solcher Stellen, an denen das Unsicherheitsgefühl Radfahrende eindeutig zu Verkehrsteilnehmern zweiter Klasse macht - trotz des Getöses um die neue StVO-Novelle. Busse oder Lkw fahren mit äußerst geringem Abstand an Radfahrenden vorbei, da es sich um "getrennte Fahrbahnteile" handelt.


"Radfahrstreifen" Fuhlsbüttler Straße - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" Fuhlsbüttler Straße - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" Fuhlsbüttler Straße - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" Fuhlsbüttler Straße - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" Fuhlsbüttler Straße - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" Fuhlsbüttler Straße - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" Fuhlsbüttler Straße - © Stefan Warda

"Radfahrstreifen" Fuhlsbüttler Straße - © Stefan Warda


Für die "Fahrradstadt" Hamburg wurden 2014 / 2015 untermaßige Radfahrstreifen auf der Fuhlsbüttler Straße angelegt. Diese haben inklusive der Breitstrichmarkierung ein regelwidriges Breitenmaß von nur 1,4 Metern. Die durchgezogenen Breitstrichlinien suggerieren Autofahrenden eine "Abtrennung". Neben den "Radfahrstreifen" rauschen in kurzem Minutenabstand Linienbusse an Radfahrenden vorbei - in beängstigender Nähe. Ähnlich sieht es in der Bleickenallee im Bezirk Altona aus.


Fuhlsbüttler Straße: Die neuen "Radfahrstreifen" sind abschnittsweise nur 1,4 Meter schmal (inklusive der Breitstrichmarkierung - © Stefan Warda
Fuhlsbüttler Straße: Die neuen "Radfahrstreifen" sind abschnittsweise nur 1,4 Meter schmal (inklusive der Breitstrichmarkierung - © Stefan Warda


Überholabstand bei zukünftigen Straßenplanungen berücksichtigen

Beim geplanten Umbau der Bleickenallee für die zukünftige Veloroute 1 sollte daher genauer auf eine sichere Radverkehrsführung geachtet werden. Radfahrende sollten zukünftig nicht mehr von vorbeifahrenden Linienbussen ohne nennenswerten Seitenabstand überholt werden können.



Zukünftige Veloroute 1, Bleickenallee: Gefährdungsstreifen ("Radfahrstreifen") - © Stefan Warda

Zukünftige Veloroute 1, Bleickenallee: Gefährdungsstreifen ("Radfahrstreifen") - © Stefan Warda

Zukünftige Veloroute 1, Bleickenallee: Gefährdungsstreifen ("Radfahrstreifen") - © Stefan Warda




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2 Kommentare:

  1. Naja, das BMVI und sein oberster Chef haben sich ja schon einmal bei der Auslegung von EU Recht knapp verschätz. Warum sollten sie hier "Recht" haben? Das Rechtsgutachten sollte doch weiter gültig sein? An der Definition von Radwegen und Sicherheit hat sich ja nichts geändert, nur weil das BMVI etwas behauptet, ist das ja noch lange nicht richtig?! https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/aktuell/nachrichten/rechtsgutachten-zu-markierten

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  2. Immerhin hatten der Innenausschuss des Bundesrats und die Länder Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen versucht, via StVO-Novelle durch Änderung im Wortlaut des § 5 Absatz 4 Satz 3 StVO ausdrücklich Abhilfe zu schaffen (s. Nr. 3 der Empfehlungsdrucksache 591/1/19, http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2019/0591-1-19.pdf und Plenarantrag 591/5/19, http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2019/0591-5-19.pdf ). Danach sollte der neue Überholabstand in jedem Fall einzuhalten sein (ausdrücklich auch bei Nutzung eines Schutzstreifens oder Radfahrstreifes durch den Radfahrer oder E-Scooterfahrer). Das beides nicht gelang, kann auch an der Situation in Thüringen gelegen haben. Thüringen war in der Sitzung des Bundesrats am 14. Februar 2020 nicht im Bundesrat vertreten.
    Wenn ich die Antwort des BMVI richtig verstehe, versteigt es sich aber nicht darauf, den Mindestabstand für das Überholen von Radfahrern auf Radfahrstreifen direkt zu leugnen. Das wäre auch sinnlos, da der Mindestabstand bisher Richterrecht ist und die physikalisch-technischen Begründungen für den Überholabstand es nicht hergeben, bei Nutzung eines Radfahrstreifens etwas Anderes anzunehmen als bei Nutzung eines allgemeinen Fahrstreifens oder eines Schutzstreifens. Das BMVI behauptet einfach, dass § 5 StVO „nach der Rechtsprechung“ voraussetze, dass sich beide Verkehrsteilnehmer auf demselben Fahrbahnteil befinden. Woher diese Erkenntnis kommt, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber das UDV-Gutachten benennt solche Rechtsprechung nicht und physikalisch-technisch wäre sie auch widersinnig. Natürlich darf man fragen, wieso man dieses angebliche Richterrecht nicht einfach durch die Änderung der StVO beseitigt, wie von NW und SH vorgeschlagen.
    Das BMVI verschanzt sich ja lieber hinter dem Argument, die Radfahrstreifen würden durch ihre Breite (ein Regelmaß ist dafür vorgesehen) dafür sorgen, dass sich die Frage überhaupt nicht stellt. Das ist zwar ein Stück Realitätsverlust, aber nachvollziehbar. Denn man kann dem BMVI nicht kaum vorwerfen, dass Gemeinden und Straßenverkehrsbehörden 22 Jahre nach Veröffentlichung der "Fahrradnovelle" von 1997 noch immer versuchen, den Radverkehr platzsparend zu „fördern“. Die Bilder oben zeigen Fehler, die einen zweifeln lassen, dass die zuständigen Bearbeiter ihr Handwerk in Europa gelernt haben. Wohl eher in Somalia oder anderen absurden Weltgegenden, wo das Gesetz mit der entsicherten Kalaschnikow und Blut geschrieben wird. Und in Hamburg werden Schutzstreifen einfach wie Radfahrstreifen abmarkiert – aber nicht beschildert. Das ist natürlich ganz schlitzohrig, passt aber zu dieser Stadt wie Deckel auf Topf.

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