15. November 2016

Wirtschaftsstandort Innenstadt: Hamburgs Handelskammer möchte den autoverkehrsgerechten Radverkehr

Hamburg: Chamber of Commerce wants car-friendly cycling
Aktualisiert am 19.11.2016

Willy-Brandt-Straße / Meßberg - © Stefan Warda

Vision Willy-Brandt-Tunnel

Hamburgs Handelskammer hatte vor wenigen Wochen ein Standpunktepapier vorgestellt, mit dem sie Einfluss auf Hamburgs Innenstadtentwicklung nehmen möchte. Spektakulärster Vorschlag aus dem Papier ist die Verlegung des Autoverkehrs im Verlauf der Willy-Brandt-Straße in einen Tunnel. Zwischen Rödingsmarkt / Hopfenmarkt und Deichtorplatz / Amsinckstraße soll ein 1,3 Kilometer langer Tunnel den Durchgangsverkehr aufnehmen. Im Tunnel soll es zwei signalgestützte Kreuzungen geben, die Verknüpfungen zum Wallringtunnel und zum Dovenfleet herstellen. Ein Tunnelmund soll im Dovenfleet zwischen Brandstwiete und Meßberg liegen, der andere in der Willy-Brandt-Straße zwischen Kleiner Burstah und Rödingsmarkt, im Osten soll der dritte Tunnelmund in der Amsinckstraße unter den Bahngleisen liegen. Unterirdische Verkehrsknoten sollen unter dem Deichtorplatz und unter dem Meßberg entstehen. Die Handelskammer forderte den Senat auf basierend auf dieser kühnen Idee ein verkehrliches Gutachten über die Machbarkeit eines Willy-Brandt-Tunnels in Auftrag zu geben. Gleichwohl räumte sie ein, dass die vorgeschlagene Tunnelvariante weniger leistungsfähig sei als die heutige bestehende Verkehrsführung.

Für den Bereich rund um die Ludwig-Erhard-Straße soll die Zäsur durch die breite Straße aus Sicht der Handelskammer bestehen bleiben. Aus städtebaulicher Sicht stellt die Ost-West-Verbindung dort eine ähnliche Katastrophe wie die Willy-Brandt-Straße dar.

Aus Sicht der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation wurden Bedenken am Handelskammer-Projekt geäußert. Staatsrat Andreas Rieckhof äußerte sich gegenüber dem NDR kritisch zu den geplanten Ampelkreuzungen im Tunnel.
In einem Tunnel muss alles vermieden werden, was zu einer erhöhten Unfallgefahr führt.

Die Handelskammer fürchtet die Konkurrenz des geplanten großen Geschäftszentrums am Überseequartier in der Hafencity für die bestehenden Geschäfte in der Innenstadt. Mit dem vorgeschlagenen Willy-Brandt-Tunnel soll den Besuchern der neuen Shoppingwelt im Überseequartier der Weg in die Geschäfte der Innenstadt erleichtert werden, indem die Trennung zwischen Hafencity und Mönckebergstraße aufgehoben würde. Die Handelskammer glaubt mit den Grundstücksverkäufen über dem geplanten Tunnel das aufwendige Projekt gegenfinanzieren zu können.


Rasende Radfahrer auf der Mönckebergstraße?

Die Handelskammer fordert die Erreichbarkeit der Innenstadt für Radfahrer zu verbessern. Jedoch müsse sich der Radverkehr dem MIV unterordnen.
Bei einem weiteren Ausbau der Radverkehrswege kommt es darauf an, dass die Belange des Wirtschafts- und des motorisierten Individualverkehrs nicht beeinträchtigt werden. Dazu gehört, dass alle Mobilitätsteilnehmer stets mit einbezogen werden und mit der Stadt Hamburg eine Vereinbarung mit verbindlichen Grundsätzen für die Radverkehrspolitik schließen.
Kritisch äußert sich die Handelskammer zur Kommunaltrasse in der Mönckebergstraße. In letzter Zeit habe die Zahl der Radfahrer deutlich zugenommen, die schneller als mit dem zugelassenem Tempo 25 durch die Mönckebergstraße gen Rathaus fahren würden. Fußgängern würde dadurch das Queren der Einkaufsstraße erschwert.


Velorouten 7 / 8, Mönckebergstraße - © Stefan Warda



Umgehungsrouten für die Mönckebergstraße

Die Handelskammer schlägt deshalb vor, attraktive Parallelrouten zu entwickeln, damit die Mönckebergstraße vom Radverkehr entlastet werden könnte. Dazu empfiehlt die Handelskammer drei Routen: Ballindamm, Steinstraße und eine Route durchs Kontorhausviertel über den Straßenzug Große Reichenstraße – Kleine Reichenstraße – Hopfensack – Klingberg – Pumpen – Burchardstraße – Deichtorplatz. Beim Ausbau der Entlastungsrouten sollen die Interessen der Fußgänger, des Wirtschaftsverkehrs und des restlichen MIV berücksichtigt werden
Bei der Verbesserung der Erreichbarkeit im Radverkehr müssen die Interessen aller Verkehrsteilnehmer berücksichtigt werden – die der Pkw-Kunden, des Wirtschaftsverkehrs und der Fußgänger.
Im Verlauf der drei Parallelrouten, die für den Radverkehr ausgebaut werden sollen, soll allerdings die Zahl der Stellplätze einschließlich der Kurzzeitparkplätze vollumfänglich erhalten bleiben.
Zudem sollen die Fakeradwege in der Steinstraße erhalten bleiben, die jedoch nur rudimentär vorhanden sind und erheblich im Konfikt mit dem Fußgängerverkehr stehen.


Bestehende Velorouten sind schwarz dargestellt, darunter die Mönckebergstraße als Strichlinie. Die von der Handelskammer vorgeschlagenen Ausweichstrecken zur Mönckebergstraße sind rot dargestellt.


Kritik am unsichtbarem Radweg am Jungfernstieg

Kritik übt die Handelskammer an den vor zehn Jahren eingerichteten unsichtbaren "Radwegen" rund um den Jungfernstieg, die zu Konflikten zwischen Fußgängern und Radfahrern führen. Eine für Fußgänger und Radfahrer leicht erkennbare pragmatische Lösung sei zur Lösung des Konflikts zu finden. Daraus kann gefolgert werden, dass dort Radfahrstreifen angelegt werden sollten, die die bestmögliche Trennung zwischen Fußgängern und Radfahrern ermöglichen.


Velorouten 3 /4, Jungfernstieg: Regelwidriges Verhalten auf dem Design-"Radweg" - © Stefan Warda


Fahrradstation

Für den Hauptbahnhof fordert die Handelskammer eine Fahrradstation. Bei Erfolg dieser Station könnte auch der Bahnhof Dammtor mit einer Fahrradstation ergänzt werden, so die Handelskammer.


Nijmegen, eines von mehreren Fahrradparkhäusern am dortigen Bahnhof - © Stefan Warda


Außengastronomie am Steintorwall

Ein besonderes Schmankerl hat sich die Handelskammer für den Steintorwall am Hauptbahnhof ausgedacht. Außengastronomie soll den Bereich um den Hauptbahnhof beleben. Als geeignet sieht die Handelskammer den Bereich um die jetzige Bahnhofsmission. Umso mehr müsste dann an eine andere Radverkehrsführung gedacht werden, denn auch entlang des Hauptbahnhofs im Verlauf von Steintorwall und Glockengießerwall hatte Hamburg unsichtbare "Radwege" anlegen lassen, die zu dauerhaften Konflikten zwischen Radfahrern und Fußgängern und regelwidrigem Verhalten führen. Dauerkonfliktpunkt ist die Querung des Fußgängerstroms von der Wandelhalle zur Spitalerstraße über die beiden Radwege. Radfahrer haben dort höchstens bei Nacht freie Fahrt, denn ansonsten stellen sich wartende Fußgänger auf die unsichtbaren Design-"Radwege".


Steintorwall / Hauptahnhof: Entlang des Bahngebäudes soll Außengastronomie den Fußgängerstrom auf den Design-"Radweg" lenken - © Stefan Warda

Steintorwall / Hauptahnhof: Bei Grün haben Radfahrer keine Chance dem "Radweg" zu folgen, ebensowenig bei Rot, wenn Fußgänger Fahrbahn und "Radweg" queren - © Stefan Warda


Der fußgänger- und autoverkehrsgerechte Radverkehr nach Art der Handelskammer

Abgesehen von der Empfehlung, am Hauptbahnhof die ohnehin geplante Fahrradstation einzurichten, wirken die Standpunkte zum Radverkehr in der Innenstadt immer noch wie aus dem letzten Jahrhundert. Radfahrer stören nach Auffassung der Handelskammer die Kundschaft in der Mönckebergstraße. Deswegen sollten Alternativrouten her, die jedoch keinen Platz für Radfahrer hergeben. Wenn in der Steinstraße die Belange der Fußgänger ausreichend berücksichtigt werden, alle Parkplätze erhalten bleiben sollen und möglicherweise auch noch alle Fahrspuren der Fahrbahn für den Wirtschaftsverkehr und MIV unangetastet bleiben sollen, dann bleibt kein Platz für Radwege. Dennoch fordert die Handelskammer den Erhalt der restlichen noch vorhandenen "Radwege", die einerseits viel zu schmal sind, nur bruchstückhaft vorhanden sind, und auf denen sich regelmäßig Fußgänger aufhalten. Zudem knüpfen die beiden südlich der Möckebergstraße gelegenen Ausweichrouten nicht an die bestehenden Velorouten an. Somit stellen beide Routen keine geeignete Alternative zur Querverbindung durch die Innenstadt im Hamburger Veloroutennetz dar.


Steinstraße / Mohlenhofstraße: Startpunkt des "Radwegs" in Richtung Osten. Zwischen Domplatz und Mohlenhofstraße im Verlauf von Speerort und Steinstraße ist keine gesonderte Radverkehrsanlage vorhanden - © Stefan Warda

Steinstraße / Mohlenhofstraße: Startpunkt des "Radwegs" in Richtung Osten - © Stefan Warda

Steinstraße / Johanniswall: Kampfgänger, Kampfsteher, Kampfradler oder Rüpelplaner? - © Stefan Warda



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3 Kommentare:

  1. Ich finds erstmal positiv, dass die Handelskammer Fahrradstrecken ausbauen möchte!

    Skurril und entlarvend wird es natürlich, wenn man sieht:
    - dass es ihr nicht um das Radfahrerwohl geht, sondern um die "Belästigung", die Radfahrer erzeugen
    - welche Badingungen sie stellt (Autovekehr auf Entlastungsstraßen darf nicht eingeschränkt werden)

    Dennoch ist die Idee, auf Parallelstrecken den Radwege auszubauen grundsätzlich begrüßenswert. Der Tunnelvorschlag dagegen ist völlig grotesk. Kreuzungen im Tunnel? Das würde die nächste Elbphilharmoniebaustelle...

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  2. Hat meine Handelskammer (ich bin Zwangsmitglied) etwa kein Geld mehr um einen hauptberuflichen und fähigen Radverkehrsplaner zu beauftragen? Dann würden die auch nicht so einen Blödsinn verbreiten.

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  3. Der Verkehr in der Mönckebergstrasse ist generell bunt. Auf Schildern lese ich "Lieferverkehr frei 21 - 11 Uhr frei"...es scheint aber keiner eine Uhr dabei zu haben - auch nachmittags wimmelt es noch von Lieferwagen und auch vielen PKW. Die Reisebusparkplätze sind "10 Min frei" - aber auch daran hält sich keiner.

    Und mittlerweile trauen sich auch viele Teilnehmer der samstäglichen "Spacken"-PS Rally durch die Mönckebergstrasse...es bleibt ja eh ohne Konsequenzen.

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