Aktualisiert
Die große "Radweg"-Lüge
Hamburg schmückt sich gerne mit der Behauptung ein Radwegenetz von 1700-1800 Kilometern zu haben. Diese Zahlen machen sich gut in Statistiken und bei Bewerbungen um medienwirksame Auszeichnungen, z. B. um den Titel "Europäische Umwelthauptstadt" oder den Geen City Award bei Siemens. Zu diesem "Radwege"-Netz zählt die Stadt Hamburg allerdings auch solche wie im Erdkampsweg, nur wird das offiziell verschwiegen, und keine Bewertungskommission hinterfragte jemals die Angaben zum Hamburger "Radwege"-Netz.
Nur noch bis September können Verkehrshistoriker und Denkmalpfleger einen der interessantesten Fake-"Radwege" Deutschlands in voller Länge besuchen. Der Erdkampsweg in Hamburg-Fuhlsbüttel steht wie kaum eine anderer Straße mit Pseudo-"Radwegen" für den Stadtverkehr im Leitbild der autogerechten Stadt. In unterschiedlichen Phasen wurden die "Radwege" den Bedürfnissen des Autoverkehrs angepasst und mehrmals auf dem Gehbord verlegt, um den maximalen Nutzen für Stehzeuge und den ungehinderten Autoverkehrsfluss zu erbringen. Damals gingen die Verantwortlichen noch davon aus, dass Radfahrer unmittelbar an den Außenspiegeln der abgestellten Autos entlangradeln würden, oder ggf. auf das Radeln verzichten und sich als Fußgänger mit rollender Gehhilfe betätigen. Mittlerweile ist diese Sichtweise überholt.
Regelverstösse im Erdkamspweg: Jahrzehntelang geduldetes Kampfparken auf dem Fake-"Radweg". Radfahrer sollen hier einen Meter Abstand halten - daher müssen sie auf die Fahrbahn |
Mit Novellierung der StVO im Jahr 1997 war das Schicksal der Fake-"Radwege" im Erdkampsweg besiegelt. Es brauchte allerdings noch dreizehn weitere Jahre, bis die örtlich zuständige Straßenverkehrsbehörde die illegal aufgestellten Verkehrszeichen 237 entfernen ließ. Ein langer Zeitraum, bis auch die Einsicht bei den Mitarbeitern der Hamburger Polizei, die für den Straßenverkehr zuständig sind, reifte. Allerdings ging man bei der Straßenverkehrsbehörde weiterhin davon aus, dass Radfahrer unmittelbar in der Dooringzone fahren sollten. In der Begründung zur straßenverkehrsbehördlichen Anordnung zur Entfernung der VZ 237 hieß es 2010 noch:
Die Verkehrsbelastung gemäß DTVw (aus dem Jahr 2003) beläuft sich auf ca. 16000 Fahrzeuge. Der Verkehrsfluss ist aufgrund der unterschiedlichen Funktionen relativ gleichmäßig über den Tag verteilt.
Die Fahrbahnbreite beträgt ca. 10,0 m. Auf beiden Seiten sind Radwege vorhanden. Die Breite beträgt zwischen 0,80 m und 1,20 m. Die angrenzenden Gehwegflächen sind 1,00 m bis 3,00 m, in Teilabschnitten bis 6,00 m breit.
[...]
Fahrbahnbreite und Fahrbahnverlauf schaffen mit Ausnahme der wenigen Kurven genügend Übersichtlichkeit für die Fahrzeugführer, um Radfahrer rechtzeitig erkennen zu können. PKW können Radfahrer regelmäßig auch bei Gegenverkehr überholen.
Da die Verkehrsdichte relativ hoch ist, müssen die Radfahrer angemessen berücksichtig werden. Deshalb muss die Möglichkeit erhalten bleiben, die vorhandenen Radwege "als sontige Radwege" zu benutzen. Dafür ist es erforderlich, die betroffenen Radwege in einem für alle Verkehrsteilnehmer verkehrssicherern Zustand zu halten.
Wie können Autos hier einen Radfahrer überholen, ohne in den Gegenverkehr zu geraten? Laut örtlich zuständiger Straßenverkehrsbehörde sei dies möglich . . . |
Doch bis heute hat die Straßenverkehrsbehörde ihren Teil für die Benutzbarkeit der Fake-"Radwege" nicht beigetragen. Das Parken neben den schmalen Radwegelchen wurde nie unterbunden. Dadurch blieben die Fake-"Radwege" weiterhin unbenutzbar und sind bis heute nicht verkehrssicher. Ob tatsächlich die Straßenseite bei beidseitigem Fahrbahnrandparken breit genug für das sichere Überholen von Radlern ohne Ausweichen in den Gegenverkehr ist darf zudem stark bezweifelt werden. Verkehrssicherheit nach Straßenverkehrsbehörde scheint alles zu sein, was den Autoverkehr nicht beeinträchtigt. Die restlichen Verkehrsarten unterliegen offenbar nicht der straßenverkehrsbehördlichen Verkehrssichehrheit. Als Reaktion auf die StVO-Novellierung von 1997 hatte die Hamburger Polizei im Jahr 2000 einen Flyer zum Thema "Fahradfahren aber sicher " herausgebracht. Darin hieß es u.a.:
Abstand halten
Fahren Radler an parkenden Fahrzeugen entlang, sei es auf der Fahrbahn oder auf dem Radweg, sollten sie immer einen prüfenden Blick auf die Fahrzeuge richten. Es kann plötzlich eine Wagentür geöffnet werden, weil jemand aussteigen will. Es sollte ein Sicherheitsabstand von einem Meter eingehalten werden.Sicherlich wird dieser Flyer auch beim PK34, zuständig für den Erdkampsweg, bekannt gewesen sein. All diese Sachverhalte sind eben auch typisch für die nun auslaufende Ära der autogerechten Stadt. Einstellungen wie diese der Straßenverkehrsbehörde zur Verkehrsunsicherheit prägten die Epoche ganz besonders und verhinderten eine Trendwende.
Umbau Erdkampsweg
Zunächst soll der südliche Teil des Erdkampsweg zwischen Ratsmühlendamm und Hummelsbütteler Landstraße umgestaltet werden. Die dort vorhandenen "Radwege" sollen auch dort rückgebaut werden. Wenn diese Baumaßnahme abgeschlossen ist soll im September der Umbau des Erdkampswegs zwischen Hummelsbütteler Landstraße und Wacholderweg beginnen. Die jetzt noch vorhandenen Fake-"Radwege" sollen dann entfernt werden. Radfahrer sollen zukünftig auf Radfahr- und Schutzstreifen fahren. Laut dem Fuhlsbütteler Wochenblatt konterte Torsten Lager, Vorsitzender des Gewerbebundes, bei einer Informationsveranstaltung zum Straßenumbau gegen die Bedenken einiger Anwohner, die Radfahrer durch Radspuren gefährdet sahen.
Auch für Radfahrer ist der Streifen sicherer als zugeparkte Radwege heute.Ob die Anwohner tatsächlich jemals versuchten in ihrer Straße mit dem Rad auf den unbenutzbaren "Radwegen" zu fahren? Wahrscheinlich hatten sie es wie die meisten Hamburger Radler gehalten, falls sie denn überhaupt radelten: Sie fuhren neben den Fake"Radwegen" als Kampfradler auf den Gehwegen - und fühlten sich dabei anscheinend sicher. Noch braucht es in Hamburg viel Überzeugungsarbeit, sowohl bei Radfahrern als auch bei einigen Entscheidern. Ein Blick in die angrenzende Langenhorner Chaussee genügt.
Umbau 1. Bauabschnitt
Die "Radwege" im Erdkampsweg geniessen keinen Bestandsschutz. Dennoch sind sie ganz besonders interessante Zeugnisse einer langen prägenden Epoche unserer Republik. Eine Dokumentation sollte wenigstens als Mahnmal für zukünftige Generationen dienen.
Umbau 2. Bauabschnitt
Hamburger "Radwege"-Baukunst: Erneuerung des "Radwegs" im Jahr 2008 |
"Radweg" vor Erneuerung |
"Radweg" nach Erneuerung |
Die besonderen Merkmale dieser außergewöhnlichen Fake-"Radwege" am Erdkampsweg sind der Laternenslalom in Verbindung mit geduldetem Kampfparken am und auf den "Radwegen" und der Schmalspurigkeit. Die Laternenmasten stehen auf den "Radwegen", wie auch früher die mittlerweile abgebauten Parkuhren auf den "Radwegen" standen. Hinzu kommen die in Hamburg üblichen weit abgesetzten Furten mit Verschwenkungen und die mangelnde Instandhaltung im Bereich von Bäumen. Die Planer und Entscheider besaßen sehr viel Mut in einer Geschäftsstraße mit regem Fußgängerverkehr und hoher Parkwechselfrequenz zwischen Stehzeugen, Laternen, Pollern und Parkuhren "Radwege" einzufügen und das Gesamtkunstwerk als verkehrssicher einzustufen.
Erdkampsweg - Umbau derzeit noch offen
Fake Cycle-Tracks for Good Car Traffic Flow and Much Car Parking Space
Fake Cycle-Tracks for Good Car Traffic Flow and Much Car Parking Space
"Radwege" für Autofahrer: Die Parkuhren standen im Fake"Radweg" |
Jetziger und früherer "Radweg"-Verlauf - dazwischen Stehzeuge |
Erkampsweg: Links früherer, rechts heutiger "Radweg", getrennt durch Kampfparker |
Mehr . . . / More . . . :
- Hamburg: Debatte um Erdkamspweg (Fuhlsbütteler Wochenblatt, 20.05.2014)
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Zitat: "Verkehrssicherheit nach Straßenverkehrsbehörde scheint alles zu sein, was den Autoverkehr nicht beeinträchtigt".
AntwortenLöschenGenau so ist es! Die Straßenverkehrsbehörden bescheinigen sich durch diese immer gleichen Phrasen ihre eigene Unglaubwürdigkeit. Was will man mehr? Wenn sie diesen Schwachsinn vor dem Verwaltungsgericht begründen sollen, erleiden sie natürlich regelmäßig Schiffbruch...
Anstatt weiterhin dem 1960er-Jahre-Modell der autogrechten Stadt nachzulaufen, sollten die Straßenverkehrsbehörden ENDLICH zur Kenntnis nehmen, dass "die Straße", also die Fahrbahn, für ALLE Fahrzeuge vorgesehen ist, also auch für Radfahrer!
Ist es möglich, dass eine solche Analyse auch für die Tangstedter Landstraße - besonders richtung stadteinwärts HH, beginnend in Norderstedt - gemacht wird? Die Zustände dieses Radwegs sind über die gesamte Länge streckenweise einfach katastrophal. Bin gestern von Norderstedt nach Eppendorf gefahren, werde künftig eben verbotener Weise auf dem Fußweg fahren. Mein Rad und mein Rücken werden es mir danken.
AntwortenLöschenUnd vielen Dank für Ihre Veröffentlichungen, die helfen....
Hallo Sylvia,
AntwortenLöschenauf dem Gehweg würde ich nicht fahren! Bin die Tangstedter Landstraße eben mit Google Maps "abgefahren". Bei diesem "Radweg" ist es legal, auf die Fahrbahn zu wechseln, da er unbenutzbar ist. Schon deshalb, weil es unmöglich ist, den zwingend erforderlichen Sicherheitsabstand zu den parkenden Autos einzuhalten, ohne auf den Gehweg zu wechseln.
Ich empfehle, gegen die Anordnung der Benutzungspflicht Widerspruch einzulegen. Sollte dieser abgelehnt werden, würde ich klagen. Dieses Verfahren ist nicht zu verlieren - außer durch eventuelle Formfehler. Falls Du die Anordnung schon länger als ein Jahr kennst, machst Du den Umweg über einen "Antrag auf Aufhebung der Benutzungspflicht". Wird dieser abgelehnt, gegen die Ablehnung Widerspruch einlegen. Diesen "Radweg" als benutzungspflichtig zu deklarieren, ist eine Frechheit!
Bin interessehalber auch eben mal per Streetview die ganze Tangstedter Landstraße Richtung Norden abgefahren. Kann Kampfradler nur zustimmen. Und richig: Beim Gehwegradeln tut man/frau sich keinen Gefallen.
AntwortenLöschenStreetview zeigt wie so oft einen bereits historischen Zustand: Die Benutzungspflicht an der Tangstedter ist schon seit einigen Jahren perdu.
AntwortenLöschenVom Verkehrsaufkommen her ist das Gehwegradeln dort geradezu unproblematisch, da bildet Streetview auch die heutige Realität ab: per pedes ist dort nämlich praktisch nie jemand unterwegs. Kritisch sind allerhöchstens die Bushaltestellen Klinikum Nord (Heidberg) und Hohe Liedt stadteinwärts. Allerdings ist die Beschaffenheit der Gehwege ähnlich lausig wie die der roten Streifen, weswegen sich denn auch der örtliche Radverkehr im Bereich der Fritz-Schumacher-Siedlung bis hin zum Langenhorner Markt in erster Linie auf den parallelen Straßenzügen Laukamp/Borner Stieg (Veloroute 4)/Eberhofweg respektive Fritz-Schumacher-Allee abspielt. Für den Quell-Ziel-Verkehr sind damit in der Regel keine Umwege verbunden. Und die Autokonkurrenz hält sich auf diesen Anwohnerstraßen auch in Grenzen.
Auf der Fahrbahn der Tangstedter Landstraße sehe ich eigentlich nur Mamils auf dem Weg von/nach Stormarn, zwischen OD- und SE-Kennzeichen, die hier auch gerne 60 bis 70 fahren.
Worauf ich hinaus will: Wenn Bäume und Parkerei nicht wären, ließe sich an der Tangstedter von der Straßenbreite her wunderbar ein separater Zweirichtungsradweg à la Niederlande realisieren. Schutzstreifen wären zwar nicht ganz schlecht, sie würden aber ebenso halb zugeparkt wie die jetzigen Fakeradwege. Und Linksabbiegen bliebe auch mit ihnen weiterhin eine Übung für Lebensmüde. Die wirklich verpasste Chance in dem Korridor ist, dass die Langenhorner Güterbahn nicht zum Rad-Highway umgebaut wurde (statt sie als ziemlich alibimäßige ökologische Ausgleichsfläche für die Flughafen-S-Bahn zu nutzen).
Klar es gibt ja nur Fahrradfahrer in ganz Hamburg und keine Autos !
AntwortenLöschenViele Menschen wie ältere, Behinderte, Gewerbetreibende sowie dieverse
Personen sind auf das Auto angewiesen (!). Und die Fahrrad-Lobby
meckert und meckert über die schlechten Radwege !
Wieviel Fahrradfahrer gibt es den in HH zwischen Oktober bis März
auf den Straßen ??? Herzlich wenig.....und die Radrennsportler haben
Winterpause. Da sollen für ganze 13% der Verkehrsteilnehmer (!!!) Millionen in
den Radwegausbau investiert werden, wo an vielen sozialen Projekten Geld
gestrichen wird, z.B. die Musiklehrerstelle im Haus der Jugend Steilshoop.
Hamburg hat übrigens 3 Milliarden Euro Schulden und baut und baut.
Die Zeche zahlt die nachfolgende Generation, habt Ihr daran mal gedacht ?
Bislang sieht die Straßenraumaufteilung in den meisten Hamburger Straßen so aus, als wenn es - ihrem Weltbild entsprechend - nur Autos gäbe und keine Radfahrer - so z.B. bis 2010 im Erdkampsweg oder bis heute in der Langenhorner Chaussee. Bis 2010 sollten Radfahrer im Erdkampsweg unbenutzbare "Radwege" befahren. Mittlerweile dürfen Radfahrer auch ganz offiziell aus Sicht der zuständigen Straßenverkehrsbehörde die Fahrbahn befahren - ein Segen. Haben Sie als Autofahrer schon mal erlebt, dass auf der Fahrbahn, die ihnen zur Verfügung steht, Laternenmasten oder Parkscheinautomaten stehen, oder Fahrräder so abgestellt sind, dass die Fahrbahn in voller Breite unbenutzbar ist und sie für die Weiterfahrt nur noch auf den Gehweg ausweichen könnten? Was bekanntlich verboten ist. Wann haben sie das letzte Mal ihr Auto über den Gehweg geschoben, weil die Fahrbahn wegen solcher Hindernisse blockiert war?
LöschenWenn sich die Anzahl der Autofahrer nur noch auf solche beschränken würde, die behindert sind und als Gewerbetreibende tatsächlich ein Auto bräuchten, könnte es in Hamburg zukünftig viel mehr Platz für den Radverkehr geben. Selbst die von ihnen geschätzte Musiklehrerstelle müsste nicht gestrichen werden, wenn für den Ausbau des Straßennetzes nur noch der unbedingt notwendige Autoverkehr berücksichtig würde. Im alltäglichen Stau auf Hamburgs Straßen stehen ja nicht ausschließlich Busse, Müllwagen, Feuerwehr, Polizei, Behinderte und Gewerbetreibende. Und so viele Autofahrer meckern und meckern und meckern, ist das nicht peinlich?
Stellen Sie sich doch einmal vor, dass im winter in Hamburg genauso wie in Kopenhagen die Radwege noch vor den Fahrbahnen geräumt werden. Was meinen sie wohl, wie viele Radfahrer im Winter noch auf - zumindest benutzbaren - Radwegen unterwegs wären. Wegen solch eines vorbildlichen Winterdienstes sind im Winter immer noch 80% der Radler unterwegs - vor allem als Pendler auf dem Weg zur Arbeit. Da aber in jedem Winter naehzu alle Radwege, selbst die an wichtigen Hauptstraßen zugeschenit und vereist bleiben, traut sich kaum ein Radfahrer im Winter zu radeln.
Würden auch im Winter noch annährend gleich viele Radler wie jetzt im Sommer radeln analog zu Kopenhagen (dank des funktionierenden Winterdienstes) gäbe es bestimmt gleich mehrere Musiklehrerstellen in Steilshoop . . .
. . . wie Sie in Kosten-Nutzen-Vergleichen anhand Radverkehrsprojekten für Kopenhagen nachvollziehen können. Radfahrten nutzen der Gesellschaft, Autofahrten schaden der Gesellschaft. Wenn also Bauprojekte die Verkehrsmittelwahl zugunsten des Radverkehrs beeinflussen profitiert die Gesellschaft davon.
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