Keine Bäume, keine Parkplätze, aber echte Radwege - Geschäftsstraße in Kopenhagen |
Am letzten Wochenende widmete das Hamburger Abendblatt viel Aufmerksamkeit dem Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur in Hamburg. Das Veloroutennetz, das ursprünglich 2015 komplett fertiggestellt sein sollte, soll ein wenig vervollständigt werden. Radwege an Hauptstraße und in den Bezirken sollen ausgebessert, an einigen Straßen soll es mehr Radfahr- und Schutzstreifen geben. Insgesamt sind die Verbesserungen jedoch nur moderat und keineswegs revolutionär. Es bleiben weiterhin erhebliche Infrastrukturdefizite bestehen. Zahlreiche unbenutzbare "Radwege" wie z.B. in der Langenhorner Chaussee oder Fuhlsbüttler Straße bleiben weiterhin benutzungspflichtig, das Märchen vom 1.700 oder 1.800 Kilometer langen Radwegenetz wird weiterhin gepflegt. Inkludiert in dieser Zahl sind leider auch alle seit Jahrzehnten unbenutzbaren "Radwege", die also nur virtuell für den Schein der Statistik existieren. Bei diesen Scheinradwegen geht es darum Radfahrer von der Fahrbahn fernzuhalten. Das gelingt auch, denn fast alle Radfahrer fahren dort regelwidrig neben den unbenutzbaren Fake-"Radwegen" auf den Gehwegen - und niemand regt sich über diese "Kampfradler" auf. Beim laufenden und geplanten Aus- und Umbau für neue Radverkehrsanlagen genießt der Autoverkehr weierhin Vorrang vor dem Radverkehr. So werden z.B. "Radwege" in der Heimfelder Straße zugunsten des Erhalts von Parkplätzen zurückgebaut und dies als Fortschritt für den Radverkehr gewertet. Das Dilemma um Hamburgs Radverkehr hat Dr. Frank Bokelmann in einem Leserbrief an das Hamburger Abendblatt treffend zusammengefasst.
Kopenhagen: Statt Bäumen und Parkplätzen echte und leistungsfähige Radwege in Geschäftsstraßen |
Hamburgs Parole beim Radwegebau ist: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass." Radwege müssen schon sein, damit der Autofahrer freie Fahrt auf der Fahrbahn genießen kann. Aber sie dürfen bitte keine Parkplätze oder Bäume kosten. Da ducken sich sogar grüne Politiker feige weg und verschwenden Steuergelder für Placebos. Tatsächlich wäre der Platz für vernünftige Radwege nämlich nicht von der Fahrbahn abzuzweigen, sondern ginge zulasten der Parkplätze und Baumstandorte. Wie's geht, kann man nicht in Münster, sondern in Kopenhagen bewundern: munter und sicher fließender Kfz- und Fahrradverkehr in recht kahlen Straßen mit breiten Radwegen direkt neben der Fahrbahn. Man muss das nicht mögen, aber so wäre es korrekt. Denn innerorts erhöhen Radwege, wie die in Hamburg angelegten, die Sicherheit der Radfahrer nicht. Sie verlagern die Gefahren einfach an die nächste Kreuzung oder Einmündung, wo der Sensenmann im "toten Winkel" rechtsabbiegender Lkw erntet.
Statt Bäumen und Parkplätzen: Echte und funktionale Radwege in einer Geschäftsstraße |
Das Dilemma um Hamburgs "Radwege" - Beispiel Osterstraße
Solche und andere unbenutzbare "Radwege" zählen zum 1.700 oder 1.800 Kilometer langen "Radwege"-Netz in Hamburg |
Mehr . . . / More . . . :
Hamburger Abendblatt:
- 100 Kilometer neue Radwege in Hamburg (Hamburger Abendblatt, 24.08.2013)
- Hamburg darf nicht Münster werden (Hamburger Abendblatt, 24.08.2013)
- Auf zwei Rädern in die Zukunft (Hamburger Abendblatt, 24.08.2013)
- Gefahren verlagern (Hamburger Abendblatt, 28.08.2013)
- Falsch investiert / Ein Paar Eimer Farbe / Armselig (Hamburger Abendblatt, 27.08.2013)
Kopenhagen:
Hamburg:
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"Radwege müssen schon sein, damit der Autofahrer freie Fahrt auf der Fahrbahn genießen kann."
AntwortenLöschenAutoverkehr ist nun wirklich nicht zum Genießen.
Radfahren ist der Genuss. Allerdings nicht zwischen Autos.
Ordentliche Radwege müssen sein, damit möglichst viele Radfahrer, und nicht nur ein paar sportliche Radler, Fahrradfahren genießen wollen und können.
"[Radwege] verlagern die Gefahren einfach an die nächste Kreuzung oder Einmündung, wo der Sensenmann im "toten Winkel" rechtsabbiegender Lkw erntet."
Es verwundert, dass diese veraltete, längst überholte Sicht auf Verkehrssicherheit, im üblichen shock-and-awe-Duktus vorgetragen, immer noch Anhänger findet.
Radverkehrssicherheit wird mittels Radverkehrsanteil generiert. Attraktive Infrastruktur schafft viel Radverkehr. Viel Radverkehr führt zu viel Radverkehrssicherheit.
Für Radinfrastruktur muss niemand Hamburg's Bäume abhacken. Im Gegenteil: Man kann neue Bäume pflanzen. Radverkehr braucht weniger Platz als MIV. Beim Umsteuern wird also Platz eingespart.
Bokelmann scheut das Beispiel Münster zu Recht. Denn in Münster mit seinen vielen Radwegen ist der Radfahrer vor Abbiegeunfällen doppelt so sicher wie andernorts. Dieses, Kennern der Materie nicht überraschende Ergebnis, war jüngst in einer Studie der Kfz-Versicherer UDV zu lesen.
In der Studienpräsentation ist von diesem Ergebnis keine Rede, es wird verschwiegen.
Stattdessen fordern die Autolobbyisten, unisono mit Bokelmann, den Radverkehr auf der Fahrbahn, "wo der Sensenmann erntet", zu führen.
Bei den Kfz-Vers-Verkäufern ist es das Verkaufsinteresse : Je weniger Radverkehr, desto mehr MIV, desto mehr Policenverkauf. Ergo: Ab auf die Fahrbahn! Radwege zurückbauen!
Je unsicherer die Radfahrer, desto weniger Radverkehr, desto unsicherer die Radfahrer, desto ... ad infinitum.
Verbirgt sich hinter "Dr. Frank Bokelmann" vielleicht ein Kfz-Versicherungsverkäufer?
Von Leserbriefschreiber zu Kommentator:
LöschenSie widersprechen sich teilweise selbst. Aber davon ab:
Leider fehlt mir manchmal das Ironiezeichen. Denn "Radwege müssen schon sein, damit der Autofahrer freie Fahrt auf der Fahrbahn genießen kann." wäre damit sicherlich einfacher verdaulich. Denn ich genieße jedenfalls keine Autofahrt. Seit über 30 Jahren habe ich kein Auto mehr gelenkt.
Natürlich ist mir bekannt, dass mit steigender Radverkehrsdichte die Sicherheit des Radverkehrs sich verbessert. Ich wollte aber einen Leserbrief und keinen Besinnungsaufsatz schreiben. Ferner gibt es im Münster auch ein paar Dinge, die mich sehr stören - z.B. der Einsatz von gemeinsamen Geh- und Radwegen, die ich komplett ablehne.
Ich selbst fahre mit der Fahrrad überall, wo es erlaubt ist, auf der Fahrbahn (und manchmal extra vor den Augen der Polizei auch da, wo es nicht erlaubt ist) und habe damit die besten Erfahrungen gemacht, während Rechtsabbiegerunfälle auf Radwegen mir früher häufig passiert sind. Denn ein Radfahrer auf der Fahrbahn muß bewußt überholt werden. Das tut aber niemand, der gleich rechtsabbiegen will.
DrFB
Ob ich mir teilweise widerspreche (ich sehe nicht wo), können wir gern dahingestellt lassen. Die Möglichkeit, dass es Ihnen an entsprechendem Verständnis fehlen könnte, sehen Sie so gar nicht?
AntwortenLöschenWie auch immer. Mir geht es mehr um den Sätze "Innerorts erhöhen ...[Radwege] die Sicherheit der Radfahrer nicht..." und "Ferner gibt es in Münster auch ein paar Dinge, die mich sehr stören ..."
Es geht mir nicht um teilweise Widersprüche.
Es geht mir um die bewusst falsche Widergabe von Fakten und es geht mir darum, ob man sich nicht endlich von der Propaganda der Autolobby löst.
Vorsicht! Der folgende Text enthält ironische Anteile. Risiken und Nebenwirkungen sind garantiert!
Mich stört auch einiges in Münster. Aber nehmen wir mal, nur für einen Augenblick, an, die Radinfrastruktur in Münster wäre nicht speziell für DrFB, noch für GR (für mich also) gebaut. Nehmen wir sogar weitergehend an, wirklich nur für ganz kurz, die Stadtverwaltung MS kenne Herrn Dr FB überhaupt nicht, von meiner Wenigkeit ganz abgesehen.
Könnte man dann nicht sagen,
.. die hätten dort, indem sie große Teile der Bevölkerung von jung bis alt aufs Rad holen, einen guten Job gemacht?
... dass das also doch möglich ist, im Autoland Deutschland, mit ansprechender Radinfrastruktur einen Radverkehrsanteil zu generieren, der die Radverkehrssicherheit enorm erhöht? Radler sind dort bei Abbiegeunfällen doppelt so sicher wie anderernorts. Dem "an Einmündungen lauernden Sensenmann" haben sie dort nen bösen Tritt verpasst. (durch "innerörtliche Radwege", man erinnert sich?)
Und könnte man nicht weiter sagen,
... dass sie dort, indem sie die alte Mär, wonach Fahrradfahren gefährlich sei, sehr eindrucksvoll widerlegt haben, sehr viel für den Radverkehr getan hätten?
... dass die vielen, vielen verhinderten Unfälle mit Toten und Verletzten dort die Investitionen in Radverkehrinfrastruktur allemal wert sind?
... dass dadurch der "an der nächsten Einmündung erntende Sensenmann" nachhaltig in den A... getreten wurde?
Nun gut. Wenn und hätte, Fahrradkette. Unser beiden persönlichen Sonderwünsche haben sie nun einmal ignoriert, aus der Nummer hilft ihnen auch und sei es ein noch so hoher Radverkehrsanteil und noch so viel Sicherheit nicht raus.
Schande über sie!