3. April 2011

Leitbild "Wir wollen das moderne Hamburg schaffen": Noch mehr Busse statt Stadtbahn

New model "We want to create the modern Hamburg": More buses instead of a light rail

Radfahrstreifen oder Busspuren? Hamburg soll jetzt "Europas modernstes Bussystem" bekommen mit zusätzlichen Busspuren und weiteren Ampelvorrangschaltungen an Kreuzungen - © Stefan Warda
Cycle lanes or bus lanes? Hamburg should get "Europe´s most modern bus system with additional bus lanes and priority at traffic lights

Richtungswechsel haben in Hamburg Kontinuität. Anfang der 1990er Jahre warb Bürgermeisterkandidat Henning Voscherau (SPD) für die Wiedereinführung der 1976 stillgelegten Straßenbahn. Aber erst sein Nachfolger Ortwin Runde (SPD) setzte die Idee in Planungen um. 2001 stand das Projekt wegen Regierungswechsel vor dem Aus. Die Koaltion aus CDU, FDP und Schill-Partei verfolgten eine autoorientierte Verkehrspolitik. Einige Busspuren wurden abgeschafft, sie galten im Jargon der Regierung als "Verkehrsschikanen". Die Stadtbahn in die Hafencity und nach Steilshoop galt damals nicht als zu teuer, sondern als Autoverkehrshindernis. Stattdessen wurde in die Hafencity eine im Vergleich sündhaft teure U-Bahnlinie gebaut.  2009 war die CDU in Koaltion mit der GAL offen für ein neues Stadtbahnprojekt. Angesichts immenser Ausgaben für die Elbphilharmonie und die neue Mini-U-Bahn in die Hafencity halten viele Politiker und Lobbyisten das Stadtbahnprojekt für zu teuer. Einige fordern aber gleichzeitig die Verlängerung der im Vergleich zur Stadtbahn wesentlich teureren U-Bahn in den Hamburger Süden.

Das Aus für eine moderne Stadtbahn scheint 2011 wiederholt besiegelt. Acht Millionen Euro Planungskosten wandern in Form von bunten Plänen in Schubladen oder das Baubehördenarchiv. Nun sollen Busse die Hamburger dazu einladen das Auto stehen zu lassen oder abzumelden. Der neue Bürgermeister Scholz kündigt für Hamburg das "modernste Bussystem Europas" an. Und der neue Verkehrssenator Horch erwägt die sündhaft teure U-Bahn von der Hafencity nach Wilhelmsburg zu verlängern. Selbst die nun zugesagte Verlängerung der Luxusuntergrundbahn bis zu den Elbbrücken wird sehr kostspielig. Die anerkannt deutlich preiswertere Stadtbahn sei aber von Hamburgs Bürgern wegen angeblich zu hoher Kosten nicht gewollt. Hamburg müsse schließlich sparen.

Acht Millionen Euro Planungskosten für die Stadtbahn werden jetzt versenkt, und vielleicht werden zur nächsten Landtagswahl weitere Millionen Planungskosten für ein fragwürdiges Bussystem versenkt, falls es anschließend wieder einen Richtungswechsel geben wird. Ob im Jahr 2020 Hamburg jemals das "modernste Bussystem Europas" haben wird bleibt noch offen.


Moderner Bus- und Radverkehr in Münster: Busse fahren auf Radfahrstreifen - © Stefan Warda
Example for modern bus traffic and cycle traffic in Münster: Buses run on cycle lanes 

hamburgize.com / Stefan Warda
Amsterdam: Radfahrer können bequem und konfliktfrei eine Bushaltestelle passieren - © Stefan Warda
Amsterdam: Cyclists can pass easily a bus stop

Kopenhagen (Frederiksberg): Busspur und Radweg, keine Konflikte zwischen Passanten, Busfahrgästen und Radfahrern - © Stefan Warda
Copenhagen (Frederiksberg): Bus stop and cycle track, no conflicts between pedestrians, passengers and cyclists

Kopenhagen: eindeutige und angemessene Flächenaufteilung für Passanten, Radfahrer und Busfahrgäste - © Stefan Warda
Copenhagen: Adequate and clear zoning design for pedestrians, cyclists and bus passengers

Zum Thema Radverkehr war von der neuen Regierungscrew noch nicht viel zu hören. Ganz vergessen hat die SPD derzeit wohl, dass sie selbst 2008 die Radverkehrsstrategie für Hamburg unterstützt hatte und zuvor sich an deren Entwicklung beteiligte hatte. Doch falls nun dem Busverkehr tatsächlich mehr Platz im vorhandenen Straßenraum eingerichtet werden sollte, könnte dies zum Nachteil des Radverkehrs ausfallen. Busspuren brauchen mehr Fläche als Stadtbahntrassen.

Bislang sieht es an Bushaltestellen neben Radwegen eher schlecht aus für Radfahrer und Fußgänger. Im Regelfall gibt es eine unmoderne Busbucht und keinen modernen Haltestellenkap, selbst wenn durch die Busbucht die gesamte Nebenfläche stark eingeschränkt wird. Denn im Zweifelsfall sollte in der derzeitigen "Umwelthauptstadt" bislang immer noch der Autoverkehr ungehindert fließen. Das altbackene Standardmodell: Wartende Fahrgäste, Radfahrer und Passanten behindern sich gegenseitig, während der Autoverkehr ungestört fließt. Bürgermeister Scholz kündigt nun "Zusatzspuren" für Busse an. Die wird es in Hamburg wohl nur solange geben, wie dafür Radwege und Gehwege verengt werden, denn das in dieser Stadt immer wieder beliebte Gejammer um das Phänomen Autostau dürfte nach dem Abwatschen des Stadtbahnprojekts auch dem neuen Bürgermeister nicht gefallen. Wir Radfahrer sind gespannt auf die neuen und modernen Bushaltestellen in Hamburg.


Typisch Hamburg: Wenig Platz für Radfahrer an Bushaltestellen. Hier ein gemeinsamer Geh- und Radweg, gebaut im Jahr 2004 - © Stefan Warda
Typically Hamburg: Little space for cyclists at bus stops. Here a sidewalk for pedestrians and cyclists, built in 2004


© Stefan Warda

© Stefan Warda

© Stefan Warda

© Stefan Warda

Ein anderes Beispiel: Auch hier behindern sich Fahrgäste, Passanten und Radfahrer untereinander. Wenigstens fließt der Autoverkehr - © Stefan Warda
Another example: Also here cyclists, pedestrians and bus passengers interfere with each othe

Loogeplatz: "Radweg" mitten durch die Bushaltestelle - © Stefan Warda

Ein zentraler Busbahnhof: Der Radverkehr wird mitten durch die Haltestellenanlage geführt im Zweirichtungsverkehr genau dort, wo Fußgänger entlang gehen und natürlich häufig queren - © Stefan Warda
Cycle traffic leads right through a central bus station as a two-way cycle track

Eidelstedter Platz: Der Zweirichtungsradweg windet sich im Zickzack um die Einbauten am Busbahnhof. Vorsicht ist geboten an jeder Ecke. Es kann immer unerwartet ein Fußgänger auftauchen, der noch schnell zum Bus hastet, oder wie hier eine Radfahrerin die Kurve schneiden - © Stefan Warda

Unschön: Üblicherweise steht das Haltestellenhäuschen direkt angrenzend am Radweg, falls dieser vorhanden - © Stefan Warda

Wartende Fahrgäste stehen dann schon mal auf dem benutzungspflichtigen Radweg . . . - © Stefan Warda
Waiting bus passengers on the cycle track . . .

. . . und erfordern höchste Konzentration vom Radfahrer - © Stefan Warda

Unmodern, aber relativ neu: Der Autoverkehr fließt, aber der benutzungspflichtige Radweg dient eigentlich dem Fußgängerverkehr - © Stefan Warda

© Stefan Warda

© Stefan Warda

© Stefan Warda

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Vollkommen unmodern: Ausgewiesene Velorouten an einer Bushaltestelle vor einem Einkaufszentrum. Das ist keine Werbung für den Radverkehr - © Stefan Warda

Äußerst unmodern: Benutzungspflichtiger Radweg führt mitten durch hoch frequentierte Bushaltestelle - © Stefan Warda

Äußerst unmodern: Benutzungspflichtiger Radweg führt mitten durch hoch frequentierte Bushaltestelle - © Stefan Warda

Äußerst unmodern: Benutzungspflichtiger Radweg führt mitten durch hoch frequentierte Bushaltestelle - © Stefan Warda

Sehr altmodisch: Benutzungspflichtige Radwege an Busbuchten - © Stefan Warda
Very old school cycle track at very old school bus stop

Wer es nicht kennt: Kein Scherz, da verläuft ein roter benutzungspflichtiger Radweg! - © Stefan Warda
You do not believe? This is a cycle track with the obligation to us it!

© Stefan Warda

Eine Radfahrerin hat aufgegeben, der benutzungspflichtige Radweg ist einfach nur unbenutzbar - © Stefan Warda
Cyclist gave up, cycle track could not be used

© Stefan Warda

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1 Kommentar:

  1. Hallo!

    Vielen Dank für diesen Beitrag und vor allem die Bilder die zeigen, wie Hamburg mit Fahrradfahrern umgeht und den Autoverkehr an jeder möglichen und unmöglichen Stelle bevorzugt. Dafür gerne in Kauf nimmt, dass sich Fussgänger und Radfahrer immer in die Quere kommen. Ich bin jeden Tag mit dem Rad in und um Hamburg unterwegs. Viele der Orte auf den Bildern sind mir bekannt bzw. ich muss jeden Tag daran vorbei.

    Es ist wirklich unglaublich, wie Hamburg es schafft, nichts für die Radfahrer zu tun. Die Stadt verschenkt ein enormes Potenzial. Dass es auch anders geht, machen andere europäische Städte erfolgreich vor. Wenn man sich dann noch das tägliche Verkehrschaos in Hamburg anschaut, dann stellt sich mir die Frage, wer hier was plant. Vielleicht nicht immer alles vom Schreibtisch aus betrachten sonder einfach mal raus und sich vor Ort ein Bild von der Situation der Radfahrer und Fussgänger machen.

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