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25. August 2016

Gedanken zum "Fahrradklima-Test": Wurde Hamburg bislang unterbewertet?

Nation-wide cycling survey: Is Hamburg underestimated?
Aktualisiert um 18:01 Uhr

Alter Elbtunnel - © Stefan Warda


Radfahrer hatten Hamburg in den vergangen Jahren regelmäßig mit schlechten Noten bedacht, wenn es um die Radverkehrsfreundlichkeit ging. Bei der letzten Umfrage im Rahmen des bundesweiten "Fahrradklima-Tests" im Jahr 2014 erhielt Hamburg die Gesamtnote 4,28. Selbst Wuppertal erhielt mit 4,20 eine leicht bessere Gesamtnote, obwohl der Radverkehrsanteil Wuppertals mit 1,5% keinesfalls mit dem von Hamburg (12%) mithalten kann. Auch viele andere Städte, deren Radverkehrsanteil deutlich niedriger liegt als in Hamburg, hatten 2014 beim Städte-Ranking des "Fahrradklima-Tests" zum Teil wesentlich besser abgeschnitten. In Städten, in denen also deutlich weniger mit dem Rad gefahren wird als in Hamburg, soll das Radfahren deutlich attraktiver sein als in Hamburg. Wie kann das sein?




Fahrradklima-Test-Note 2014
Radverkehrsanteil
Wiesbaden
4,55
3% (3)
Mönchengladbach
4,46
6,2%
Bochum
4,38
5% (1)
Witten
4,29
5%
Hamburg
4,28
12% (2/3)
Gevelsberg
4,22
2%
Wuppertal
4,20
1,5%
Saarbrücken
4,19
4% (3)
Duisburg
4,05
10,7%
Erfurt
4,02
8,3% (3)
Stuttgart
4,02
5% (3)
Dortmund
4,0
6,4%
Essen
4,0
4,9%
Magdeburg
3,93
9,8% (3)
Mülheim
3,88
4%
Hattingen
3,88
4%
Schwerte
3,82
6,6%
Sprockhövel
3,72
2%
Mainz
3,71
11,6% (3)
Herne
3,69
9%
Oberhausen
3,58
6,3%
Schwerin
3,56
9% (3)
Heiligenhaus
3,11
2%
(1) Haushaltsbefragung 2013
(2) Mobilität in Deutschland 2008
(3) Radverkehr in Zahlen 2014
 

Erklärungsversuch für Hamburgs schlechte Note

Wurde Hamburg bislang unterbewertet oder wurden andere Städte im Vergleich zu Hamburg deutlich überbewertet? Was hält Radfahrer in den anderen Städten vom Radfahren ab, wenn die Radverkehrsverhältnisse dort laut "Fahrradklima-Test" besser sein sollen als in Hamburg? Warum fahren Hamburger trotz angeblich äußerst widriger Bedingungen wesentlich mehr mit dem Rad als in Städten, in denen das Radfahren laut "Fahrradklima-Test" besser sein soll? Sind sie leidensfähiger? Ist das Ergebnis des "Fahrradklima-Tests" in irgendeiner Weise repräsentativ und vergleichbar?

Eine Erklärung für das schlechte Abschneiden Hamburgs im Vergleich mit anderen Städten mit wesentlich geringerem Radverkehrsanteil und kaum ausgeprägter Radverkehrskultur mag die höhere Sensibilisierung der Radfahrer in Hamburg für die verkehrlichen Verhältnisse sein. Der örtlich ansääsige Radfahrerclub ist in Hamburg schon sehr lange Sprachrohr für die Belange der Alltagsradfahrer und benennt die Probleme vor allem aus Pendlerperspektive. In vielen Städten des Ruhrgebiets oder Nordrhein-Westfalens, wo Radfahren eher eine Frezeitbeschäftigung am Wochenende ist und die Helm- und Warnwestentragequote unter Radfahrern deutlich höher als in Hamburg liegt, scheinen Radfahrer ihre Belange eher aus Perspektive von Wochenendradlern auf Freizeitwegen zu bewerten. Dort mag eine einzige Radroute entlang einer stillgelegten Bahntrasse trotz ansonsten radverkehrsunfreundlicher Situation ein erheblicher Auslöser für eine radverkehrsfreundliche Bewertung im Rahmen des "Fahrradklima-Tests" sein, auch wenn diese fast überwiegend zu Freizeitzwecken genutzt wird - z.B. in Heiligenhaus durch den Panoramaradweg oder die Kohlenbahntrasse in Sprockhövel ("Von Ruhr zu Ruhr").

Im Falle von Mainz liegt der Radverkehrsanteil auf gleichem Niveau mit Hamburg. Im Gegensatz zu Hamburg ist der Zustand der Radverkehrsanlagen in Mainz deutlich schlechter und mit immer noch sehr vielen unzulässigen Radwegbenutzungspflichtanordnungen ausgestattet. Dennoch bewerten die Mainzer ihre Stadt deutlich besser als die Hamburger. Spielt ein gewisser Patriotismus in manchen Städten eine Rolle bei der Bewertung für ihre Stadt, der den Hamburgern möglicherweise fehlt? Oder sind Hamburgs Radfahrer realitätsbezogener, während südlich der Elbe die Zustände mit rosa gefärbter Brille betrachtet werden?


Radfahren auf der Großen Bleiche in Mainz

Mainz, Große Bleiche: Gehwegbenutzungspflicht (VZ240) - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche: Ende des benutzungspflichtigen Radwegs (VZ241) vor einer Bushaltestelle. Radfahrer müssen dort auf die Fahrbbahn ausweichen. Allerdings ist die Bordkante dort für Niederflurbusse leicht erhöht, sodass ausnahmslos alle Radfahrer als Kampfradler den anschließenden Gehweg befahren. Eine Bordsteinabsenkung ist ja leider nicht vorhanden und das Fahrbahnradeln offenbar nicht erwünscht - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche: Vor einem Gehwegmosaik endet der benutzungspflichtige Radweg (VZ241) ohne erkennbare Aufleitung auf die Fahrbahn. Ausnahmlos alle Radfahrer betätigen sich dort am Landesmuseum als Kampfradler und radeln über das Gehwegmosaik. Der anschließende Radweg über die Baumscheiben ist bis zur folgenden Querstraße ohne Radwegzwang. Radler müssen also vor dem Mosaik auf die Fahrbahn ausweichen, ein zweites Mal in Folge auf der Großen bleiche stadteinwärts - © Stefan Warda

Mainz, Grosse Bleiche: Im Anschluss hoppeln Radfahrer über zahlreiche Baumscheiben, z.T. wieder mit VZ241 - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche: Baumscheibenradweg am Landesmuseum  - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche: Baumscheibenradweg (VZ241) mit Kampfhund - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche: Baumscheibenradweg - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche / Heidelbergerfaßgasse - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche / Heidelbergerfaßgasse - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche / Neubrunnenplatz: Wechsel vom benutzungspflichtigem Radweg (VZ241) zum Gehweg mit Radelzwang - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche / Neubrunnenplatz: Wechsel vom Gehweg mit Radelzwang zum benutzungspflichtigem Radweg (VZ241) - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche: Geisterradler auf benutzungspflichtigem Radweg (VZ241) - © Stefan Warda

Mainz, Große Bleiche: Wildgeher auf benutzungspflichtigem Radweg (VZ241) - © Stefan Warda


Auch das Ergebnis für Stuttgart verwundert. Ist Stuttgart tatsächlich radverkehrsfreundlicher als Hamburg? Wie auch immer die Note für Hamburg beim nun anstehenden "Fahrradklima-Test" ausfallen wird - die Note muss vermutlich wieder relativiert werden im Verhältnis zu Städten, deren Radverkehrsanteil deutlich geringer ist als in Hamburg, bzw. umgekehrt.


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7 Kommentare:

  1. Es mag auch daran liegen, dass viele (nicht alle!) Autofahrer in Hamburg recht offensiv Auto fahren. Radelt man in andere Städten, wird man gelegentlich als Radfahrer mal vorgelassen, obwohl man keine Vorfahrt hat. In Hamburg dagegen wird man häufig sogar angehupt, nur weil man auf der Straße fährt (auch wenn es erlaubt ist).

    Auch dieser Aspekt gehört zum Wohlfühlklima einen Radfahrers unbedingt dazu.

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  2. Gleiches trifft auch auf solche Städte zu, deren Radverkehrsanteil noch geringer als in Hamburg ist. Hinzu kommt dort meistens noch, dass es kaum Radverkehrsanlagen gibt und aus dem Gründe sich viele Menschen fürchten überhaupt ein Fahrrad zu benutzen - beispielsweise in Hagen oder Wiesbaden.

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  3. Aus welcher Quelle stammen denn die Zahlen für den Radverkehrsanteil?

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    1. Aus unterschiedlichen Quellen, Angaben werden demnächst noch ergänzt.

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  4. Solange man auf Radwegen weiterhin um sein Leben fürchten muss und bei Mischverkehr von ignoranten Autofahrern von der Straße gemobbt wird, sehe ich nicht, was hier wirklich gut sein sollte.

    Vielleicht ist es mit neuer Infrastruktur einfach nicht getan, wir brauchen einen Kulturwechsel.

    Es könnte aber auch eine andere Erklärung geben: das ÖPNV-Angebot ist einfach zu schlecht, teuer und kompliziert. Daher fahren die Leute trotz der miesen Infrastruktur lieber Rad.

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    1. Beziehst Du dich auf Mainz, auf Hamburg, oder generell auf Deutschland?

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    2. Vielleicht ist die Erklärung noch einfacher:
      Könnte sein, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem was die Bevölkerung unter sicheren und bequemen Radwegen versteht, und was die Politik oder auch dieser Blog unter einer guten Radverkehrsinfrastruktur versteht und was gebaut wird.
      Vielleicht WOLLEN die Menschen nicht dadurch beglückt werden, dass man sie auf Straßen fahren lässt auf denen die Autos mit Tempo 50 oder mehr unterwegs sind.

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